Iced Earth, Nevermore, Enola Gay & Lions Share

Mittwoch, 14. Mai 1997, Köln (Live Music Hall)

Es hatte sich mal wieder ein Power Metal-Package angekündigt, und da hielt mich natürlich nichts zu Hause. Schließlich hatte ich die beiden Hauptacts des heutigen Abends bereits letzten Herbst an gleicher Stelle gesehen, und damals hatten sie mir verdammt gut gefallen. Und auch damals war die Live Music Hall nicht besonders voll. Ich weiß nicht genau, wie viele Leute hier reinpassen. Vielleicht 1500. Gegen 20:00 Uhr waren etwa 300 drin, und zwei Stunden später sollten es etwa doppelt so viele sein. Naja, diese Bands liegen halt nicht im Trend, aber ich sah's positiv: So war zumindest Platz vor der Bühne.

Los ging's mit LIONS SHARE, und als der glatzköpfige Sänger die Bühne betrat, war ich zunächst mal skeptisch. Zum Glück wurden meine Bedenken recht schnell zerstreut. Zwar schielen die Jungs vielleicht mit einem halben Auge zum Hardcore, aber die Art und Weise, wie sie moderne Elemente in ihren progressiven Power Metal einfließen lassen, geht durchaus in Ordnung. Ein wenig erinnerten sie mich an Bands wie CRIMSON GLORY, LIZZY BORDEN oder auch FIGHT, wozu sicher die exzellente Stimme des Frontmanns beitrug. Rob Halford (der ja auch nicht mehr allzu viele Haare hat) ließ grüßen. Nach einer knappen halben Stunde war die gelungene Vorstellung dann auch schon zu Ende.

War die Mucke von LIONS SHARE das geeignete Vorprogramm für die NEVERMORE-Fans, so dürften sich bei ENOLA GAY wohl eher die ICED EARTH-Jünger angesprochen gefühlt haben. Das sah beim Intro allerdings noch nicht so aus. Die vom Band kommenden Worte "... velvet pussies, black pussies, haired pussies, smelling pussies ..." ließen mich, der ich ENOLA GAY vorher noch nicht kannte, eine Poser-Band erwarten. Weit gefehlt. Zwar war die Dauerwelle einiger Bandmitglieder durchaus Poser Rock-kompatibel, aber die Mucke selber ging dann doch eher als Power Metal durch. Und zwar in allen Schattierungen, vom Party-Rock'n'Roll bis hin zum Nackenbrecher "Doomwatch". An sich konnten die Jungs nichts falsch machen, denn ich hatte das Gefühl, daß einige Leute speziell wegen ihnen da waren. Das deutlich agilere Stageacting als bei LIONS SHARE tat ein übriges, so daß nach diesem Auftritt wohl jeder der Anwesenden zufrieden gewesen sein dürfte.

Nach einer etwas längeren Umbaupause enterten dann die NEVERMORE-Jungs die Bühne. Und dann ... oh nein, was ist das? Sänger Warrel Dane ist kaum zu erkennen, dank obercooler Sonnenbrille und Kopfsocke. Machen NEVERMORE in Zukunft einen auf Hardcore, und hat Warrel jetzt auch die Haare ab? Diese Frage mag vielleicht dem ein oder anderen durch den Kopf gegangen sein. Dazu kam die extrem krankhafte Mimik des (ehemals?) haarigsten Metal-Frontmanns. Naja, wer den Kerl kennt, weiß, daß er sich - trotz Aufgeschlossenheit gegenüber modernen Trends, wie der Nasenring beweist - nie die Haare abschneiden würde. Und was durch seine Bemühungen, bloß nicht die Kopfsocke zu verlieren sowie die darunter hervorlugenden blonden Haare angedeutet wurde, bewahrheitete sich auch prompt: Nach dem ersten Song waren Sonnenbrille und Kopfsocke ab, der Kerl schüttelte erstmal seine Mähne, und weiter ging's in altbekannter NEVERMORE-Manier. Als Fan der alten Garde wartete ich natürlich auf SANCTUARY-Songs, von denen leider nur zwei gespielt wurden: "The Mirror Black" direkt als dritter Song, und "Sanctuary" als zweite und letzte Zugabe. Dazwischen gab man halt die NEVERMORE-Songs zum besten, zu denen ich zwar auch ausgiebig gebangt habe, die ich aber nicht beim Namen nennen kann. Insgesamt spielten die Jungs etwa eine Stunde und kamen ganz gut an, was aber auch nicht anders zu erwarten war. Solide!

Die dann folgende halbstündige Umbaupause war für meinen Geschmack etwas zu lang, aber wohl in erster Linie deshalb, weil ich meine Bahn kriegen mußte. So bekam ich von ICED EARTH dann auch nur den Anfang mit. Den fand ich allerdings, verglichen mit der letzten Tour, etwas schwach. Das lag aber weniger an der Band selbst, als vielmehr am jetzt deutlich schlechteren Sound sowie an einer Überbetonung der Light-Show: Es blitzte und strahlte und Lampen gingen an und aus, daß es mir persönlich schon zu viel war. Zumindest für diese Art von Musik. Eröffnet wurde der Set mit "Travel In Stygian" vom zweiten Album, gefolgt von "Colors" vom Erstling. Kam leider beides durch den bescheidenen Sound nicht so toll rüber. Beim vierten Song, "The Dark Saga" wurde es dann besser, aber leider nicht für mich, denn ich mußte mich jetzt wirklich beeilen, um die Bahn noch zu erwischen.

Ich gehe mal davon aus, daß sich auch ICED EARTH im weiteren Verlauf des Gigs ausreichend gesteigert haben (auch die Technik betreffend), so daß der heutige Abend als gelungene Power Metal-Party abgeheftet werden kann. Und auch, wenn der Laden nicht mal halb voll war: Bei der Stimmung, die in den vorderen Reihen herrschte, wird wohl niemand mehr den traditionellen Metal für tot erklären wollen, wie das auch schon der ENOLA GAY-Shouter richtig erkannt hatte.

Restless

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