Rage (mit Lingua Mortis Orchestra) & Secret Discovery

Sonntag, 5. Januar 1997, Dortmund (Ruhr-Rock-Hallen)

Zu Beginn des neuen Jahres stand uns ein ganz besonderes Konzertereignis ins Haus: Metal meets Klassik. RAGE und SECRET DISCOVERY sollten ihre Klassik-Platten live aufführen und beide von einem Sinfonieorchester begleitet werden. Der geneigte Fan konnte sich zwar im Vorfeld schon denken, daß das Ganze von der Stimmung wohl eher wie ein Metal-Konzert ausfallen wird als wie ein Klassik-Konzert, aber was uns genau erwartete, wußten wir natürlich nicht. Aber allein die Tatsache, daß es sich um ein einmaliges Konzert handeln würde, bei dem versucht werden würde, dem Metal neue Impulse zu geben, rechtfertigte die recht weite Anfahrt ins Ruhrgebiet und den (noch akzeptablen) Eintrittspreis von 33 Märkern im Vorverkauf.

Ebenso war es zu verzeihen, daß der Einlaß erst um halb acht statt um sieben losging, denn ein Orchester benötigt wohl doch etwas mehr Soundcheck als 'ne Metal-Band. Anders dagegen der Einlaß selbst: Ist es denn bei der Schweinekälte, die an dem Abend herrschte, wirklich zuviel verlangt, zwei Türen aufzumachen? Dabei kann man sich leicht ausrechnen, daß es bei einer reingelassenen Person alle vier Sekunden immerhin eine dreiviertel Sunde dauert, bis die über 700 Nasen fassende Halle voll ist - dumm für die, die ganz hinten standen.

Wie dem auch sei: Als es um halb neun losging, waren auch meine Zehen wieder warm. Die erste Überraschung stellte das Drumkit dar, das in einer Glaskabine untergebracht war. Vermutlich, weil es viel zu laut für die sämtlich per Mikro abgenommenen klassischen Instrumente gewesen wäre. Diese beschränkten sich zunächst nur auf Streichinstrumente. Etwas dünn klang dann auch der klassische Teil der ansonsten wohl als Gothic Rock zu bezeichnenden Mucke von SECRET DISCOVERY. Die erste Viertelstunde hatte man das Gefühl, man könne mit einem entsprechend programmierten Synthesizer genau dasselbe erreichen. Danach wurde es etwas ausgeglichener. Leider kenne ich ihre Songs nicht, aber der Auftritt gefiel mir deutlich besser als der im Vorprogramm von RAMMSTEIN, auch wenn die Band kaum Bewegungsfreiheit hatte. Ferner wurden mir zwei Dinge klar: Zum einen hatte ich eine offensichtlich recht gute Band bis dato vollkommen ignoriert, zum anderen muß ich mir demnächst ihre Klassik-CD holen. Leider war nach einer knappen dreiviertel Stunde der Spaß schon vorbei, und sowohl die Band als auch die Streicher und -innen wurden mit tosendem Applaus erstmal verabschiedet.

Und was sich nach der zwanzigminütigen Pause abspielte, läßt sich mit Worten kaum mehr beschreiben. Den ersten Applaus gab es, als sich das diesmal komplette Orchester auf der Bühne niederließ. Es ging wie erwartet mit "In A Nameless Time", dem Opener der Klassik-Scheibe "Lingua Mortis" los. Die RAGE-Musiker kamen dann nach und nach auf die Bühne (so gladiatorenmäßig), und wurden alle mit einem solchen Applaus begrüßt, daß man schon fast Angst hatte, die Musiker des Orchesters kämen gleich vollkommen aus dem Takt. Hätte nur noch gefehlt, daß die Meute vor Peavey auf die Knie fällt. Aber ich will ja gar nicht lästern. Im Gegenteil: Ich wage mal zu behaupten, daß kaum eine andere Band die Anerkennung, die ihr hier zuteil wurde, so verdient hat wie RAGE, die nun schon über zehn Jahre rumackern, ohne je wirklich den absoluten Durchbruch geschafft zu haben. Weiter ging's mit den übrigen Stücken der Klassik-CD, mit dem Medley als eigentlichem Höhepunkt. Hierbei wurde jeder einzelne Teil vom Publikum geradezu frenetisch bejubelt. Der Applaus ging immer wieder über in rhythmisches Klatschen, und es dauerte jedesmal so seine Zeit, bis es wieder einigermaßen still war in der Halle. Im Gegensatz zu SECRET DISCOVERY war bei RAGE das Orchester das eigentlich tragende Element des Gesamtsounds. Insbesondere fiel mir das geradezu leise wirkende Schlagzeug auf.

Natürlich ließ Peavey es sich am Ende des Sets nicht nehmen, sich bei allen, die irgendwie zum Gelingen des Ganzen beigetragen haben, zu bedanken: Die Band, das Orchester, der Dirigent, der Keyboarder und musikalische Mastermind dieses Projekts, und natürlich das Publikum, das man wirklich nur als fantastisch bezeichnen konnte, wurden mit dem entsprechenden Lob bedacht. Danach verließ die Band die Bühne, und allen Zugabenrufen zum Trotz folgte nach etwa einer Minute das Orchester, bis ... ja, bis sich die Bewegungsrichtung umkehrte und alle wieder ihren Platz einnahmen. Da man ja schon alles gespielt hatte, gab es als Zugabe halt nochmal den Opener, was aber ausreichte, um die Fans endgültig glücklich zu machen (zumindest für diesen Moment). Nach etwas über einer Stunde war dann wirklich Schluß, und die Musiker wurden mit einem nicht enden wollenden Applaus verabschiedet.

Auch wenn das Ganze vielleicht nicht so lang dauerte, wie man es normalerweise von einem Konzert gewohnt ist, so war vermutlich keiner im Publikum, der auch nur einen Groschen des Eintrittspreises bereut hätte. Leider war das Ganze, wie gesagt, wohl eine mehr oder weniger einmalige Sache - vor allem zum Leidwesen derer, die aufgrund der geographischen Entfernung und der momentanen Witterungslage nicht nach Dortmund kommen konnten. Für mich war's schon jetzt einer der Konzerthöhepunkte des laufenden Jahres.

Restless

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