Kiss & Die Ärzte

Mittwoch, 11. Dezember 1996, Frankfurt (Festhalle)

Es gab dieses Jahr vermutlich kaum ein Konzertereignis, dem so entgegengefiebert wurde wie der Tournee der wiedervereinigten KISS. Vor allem für Leute wie mich, die praktisch mit KISS groß geworden sind, aber Ende der 70er noch zu jung waren, um sich deren Live-Auftritte leisten zu können. Bemerkenswert an der ganzen Sache ist, daß ich KISS ja schonmal live gesehen habe, nämlich 1988 bei den Monsters of Rock, im Vorprogramm von IRON MAIDEN. Damals hat mich das Ganze jedoch nicht die Bohne interessiert. Da müssen die alten Männer schon mit den Songs von damals und der dazugehörigen Live-Show kommen.
Zunächst mußte man sich allerdings in Geduld üben. Zwar waren wir spät genug an der Halle, um die erste Band, von der ich nicht einmal den Namen in Erfahrung bringen konnte, bereits verpaßt zu haben. Aber DIE ÄRZTE standen ja auch noch auf dem Plan. Um es direkt zu sagen: Ihre Musik hat mich nie sonderlich interessiert, und die Texte haben ihre besten Jahre auch schon lange hinter sich (remember "Ab 18"). So ähnlich haben es vermutlich auch etliche andere in der ausverkauften Festhalle gesehen, denn außer ein paar hundert (na, immerhin) Leutchen haben alle nur auf KISS gewartet. Das ÄRZTE-Programm bestand aus einigen bekannten und einigen mir unbekannten Songs (logo), wobei das alberne "Zu spät" den Abschluß des regulären Sets bildete. Dabei hatte die Textzeile "...dann bin ich ein Star, der in der Zeitung steht..." schon wieder was selbstironisches, da wohl niemand daran zweifelte, DIE ÄRZTE am nächsten Tag in der Zeitung zu finden. Sie selber nahmen die zurückhaltende Begeisterung des KISS-Mobs mit Humor, und gaben noch das obligatorische "Schrei nach Liebe" zum Besten. Fazit: Es paßte einfach nicht zum Headliner, aber wenn ich ehrlich sein soll, bezahle ich die 67 Flocken lieber für KISS und DIE ÄRZTE als für KISS allein. War also ganz nett, sie mal gesehen zu haben.

Nach bestimmt einer halben Stunde Umbaupause ertönte dann der zwanzig Jahre alte Satz "You want the best, you get the best: KISS", und schon war in der Halle der Teufel los. Nicht im Sinne von Pogen und Headbangen, aus dem Alter sind die meisten Anwesenden offensichtlich raus, aber es wurde ordentlich geschrien und applaudiert. Welcher Song den Anfang machte, habe ich mittlerweile wieder vergessen, aber in der Tat beschränkte man sich auf Klamotten aus den Siebzigern, etwa "Deuce", "Do you love me", oder (natürlich) "I was made for loving you", der Song, der mich vor 17 Jahren zum Kauf meiner ersten Platte (damals noch als MC mangels eines Plattenspielers) veranlaßte. Eindrucksvoller als die Musik war aber auf alle Fälle die Bühne, die KISS migebracht haben. Naja, in 40 Trucks geht schon was rein. Die Anzahl der Lampen war beeindruckend, ebenso wie die Verstärkerwände und die sonstige Technik. Bei "Firehouse" spuckte Gene Simmons Feuer, während seines Bass-Solos Blut (bzw. Ketchup), um danach an zwei Seilen gen Himmel zu fliegen und in zehn Metern Höhe "God Of Thunder" anzustimmen. Daß auch KISS noch Humor haben, bewies Gene, als es sein Bass-Solo zwischendurch einfach unterbrach und mit verschränkten Armen wartete, bis das Publikum ihn richtig laut anfeuerte. Bemerkenswert war, daß die extra für diese Reunion-Tour wieder angeheuerten Ace und Peter auch je ein Solo hinlegen durften. Die Band präsentierte sich als Einheit, eben wie vor 20 Jahren. Ein bißchen Schmunzeln mußte ich jedoch schon, wenn man bedenkt, daß da bald Fünfzigjährige in schweren Kostümen, in Plateaustiefeln und geschminkt auf einer riesigen Bühne rumlaufen und sich wie Jugendliche benehmen, während es hin und wieder irgendwo knallt, brennt oder feuerwerkt.

Weitere dargebotene Songs waren unter anderem "New York Groove" und "Black Diamond", das das Ende des regulären Sets darstellte. Dabei schwebte Peter Criss mitsamt Schlagzeug in luftige Höhen und die anderen auf beweglichen Rampen über die Köpfe der ersten Reihen, verabschiedeten sich dann erstmal feierlich und ließen sich feiern. Sie gaben natürlich noch einen ordentlichen Zugabenpart zum besten, der dann mit "Beth" und "Rock and Roll all nite" dieses Ereignis besiegelte. Insgesamt muß man sagen, daß sich der Eintrittspreis gelohnt hat. Man muß das mal gesehen haben. Einmal reicht allerdings auch, zumindest im Moment. Offen bleibt die Frage nach der Zukunft dieser Combo. Ich wage mal zu behaupten, daß sie ohne diese Schow, ungeschminkt und mit neuen Songs wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken werden. Die Band hat nochmal eine Chance bekommen, sich selber zur Legende zu machen, und sollte sich besser endgültig auflösen, bevor sie diesen Status wieder verspielt.

Restless

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