Mittwoch, 2. Mai 2007, Santiago de Chile (Estadio Victor Jara)
Das Estadio Victor Jara ist ein uralter Bau, der ursprünglich für Sportveranstaltungen genutzt wurde und zu trauriger Berühmtheit gelangte, als nach dem Militärputsch von 1973 eben dort tausende Menschen gefangen gehalten und gefoltert wurden. Unter ihnen auch jener Víctor Lidio Jara Martínez, ein chilenischer Sänger, zu dessen Ehren das ehemalige Estadio de Chile 2003 umbenannt wurde. Sein Alter sieht man dem Bau allemal an, und an Rockkonzerte und die dafür geeignete Akustik dachte seinerzeit auch niemand. Was aber bei Motörhead letztendlich wohl auch mehr oder weniger egal ist; Hauptsache, die Lautstärke stimmt.
Zunächst war jedoch Warten angesagt, denn anstatt 500 Fans (so viele wollten die Band vor 12 Jahren bei ihrem Absteher nach Chile sehen) waren es dieses Mal wohl 4000, die sich Lemmy und Konsorten nicht entgehen lassen wollten. Dieses Warten gestaltete sich etwas stressig, woran neben den betrunkenen chilenischen Fans sicher auch die Hundertschaften an Carabineros beitrugen, die mit gepanzerten Fahrzeugen und MPs im Anschlag aufliefen. Hier hatte wohl irgendein Einsatzleiter irgendetwas verwechselt... Zwar herrschte vor der Halle im Großen und Ganzen Ruhe und Ordnung, aber dafür kamen wir auch erst um 21:20 Uhr nach drinnen, als Motörhead schon "Dr. Rock" und "Stay Clean" zum Besten gegeben hatte. Darüberhinaus hatte man den Innenraum der Halle kurzerhand für voll erklärt (er es allerdings beileibe nicht war), so dass sich die verbliebenen Fans auf die Tribüne trollen mussten, unabhängig davon, für welchen Teil der Halle sie eine Karte gekauft hatten. Shit happens. Naja, dafür hatten wir zumindest einen exzellenten Blick auf die Bühne, dennoch ziehe ich normalerweise die Action in der dritten Reihe vor.
Die mittlerweile stabile Besetzung Lemmy Kilminster/Phil Campbell/Mikkey Dee hat dermaßen viele Klassiker im Repertoire, dass sie eigentlich nie besonders viele Songs vom aktuellen Album spielen können. So auch dieses Mal - "Kiss Of Death" aus dem Jahr 2006 war mit insgesamt gerade mal drei Songs doch etwas unterrepräsentiert. Mit dabei: "One Night Stand" und "Be My Baby" in der Anfangsphase des Sets, dazu gesellte sich später noch "Sword Of Glory". Und dies sind meiner Meinung nach noch nicht einmal die stärksten Songs des Albums, der Opener "Sucker" oder die Ballade "God Was Never On Your Side" wären wohl besser gekommen, aber was soll's? Bei den Klassikern dagegen ließen Lemmy und Co. nichts anbrennen. "Metropolis", das mit "This song is dedicated to you and to ourselves" angekündigte "Over The Top" oder auch "Killers" vom 2004er "Inferno"-Album wurden in ordentlicher Lautstärke und zwar nicht perfekter, aber doch annehmbarer Soundqualität ins Publikum geblasen, bevor die Band - mal wieder, wird langsam langweilig - das lauteste Publikum der Welt suchte und alle auf Drei mal richtig losschreien durften.
Auch wenn man die Ansagen und auch den Kontakt zum Publikum eher als zurückhaltend bezeichnen muss, legten die Jungs (naja, eigentlich sind's ja keine Jungs mehr, sondern alte Männer...) eine ordentliche Spielfreude an den Tag. Im Innenraum war dann auch gut was los, als im weiteren Verlauf Songs wie "I Got Mine" oder "In The Name Of Tragedy" gespielt wurden. Interessant ist hierbei immer wieder der Humor Lemmys, als er etwa nach der Ankündigung von "Going To Brazil" mehr zu sich selbst als zum Publikum sagte "...although we're actually going to Argentina now." Es schien jedenfalls der Band wie dem Publikum zu gefallen, eine auf die Bühne geworfene Chile-Flagge fand dann auch für den Rest des Konzerts ihren Platz am Bass-Verstärker.
Mit "Sacrifice" ging es weiter mit einem der heftigeren Songs der jüngeren Geschichte der Engländer, und mindestens ebenso heftig fiel auch das darin eingebaute Drum-Solo von Mikkey Dee aus. Ich bin ja eigentlich kein so großer Freund von Solos, und schon gar kein Drummer, aber was der Mann hier innerhalb der kommenden sechs oder acht Minuten abgeliefert hat, hat in der ganzen Halle für offene Münder gesorgt. Schnell, hart, gut, und dazu hervorragend untermalt von der Lightshow - eine Einlage, an dem sich wohl die Drumsolos der Zukunft messen lassen müssen, und mit der Mikkey Dee wohl endgültig in dieselbe Liga wie beispielsweise Cozy Powell aufgestiegen ist.
Nach "Sacrifice" ging es munter weiter durch die Bandhistorie mit Songs wie "Just 'Cos You Got The Power" (allen Politikern gewidmet), "Killed By Death" und dem Cover-Song "Rosalie", bevor "Iron Fist" den regulären Set beendete.
Natürlich war damit noch nicht Schluss. Die Zuschauer gaben keine Ruhe, und brachten mit "Olé, olé-olé-olé, Lemmy, Lemmy"-Gesängen die Band wieder auf die Bühne. Mikkey Dee rechts (von der Tribüne aus gesehen), Phil Campbell links, beide mit akustischen Gitarren bewaffnet, und Lemmy (ohne Bass) in der Mitte. Der "Whorehouse Blues" war angesagt, in Akustik-Version und mit Mundharmonika-Einlage von Lemmy himself. Vielleicht nicht wirklich das, was man von den dreien erwartet, aber auf jeden Fall eine gelungene Darbietung, die auch mit ordentlich Applaus bedacht wurde.
Und da damit das Konzertereignis schon bald dem Ende entgegeneilte, warteten alle auf die Songs, die nicht fehlen dürfen. Bei "Ace Of Spades" rastete dann auch der letzte aus - leider auch die Dicke vor mir ;-) - bevor, wie mittlerweile schon zur Tradition geworden, "Overkill" den Schlußpunkt setzte. Natürlich nicht, ohne zwei Mal schon fast beendet und dann noch mal verlängert worden zu sein... naja, so wie Motörhead halt immer ihren Set mit diesem Song beenden.
Die Band verabschiedete sich und schien mit der Resonanz des Publikums hochzufrieden zu sein, und auch wir gingen zufrieden nach Hause - wenn auch halb taub und nicht, ohne noch ein Absacker-Bier in Santiagos Kneipenviertel Bellavista zu uns zu nehmen.
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