Bereits zwei Jahre ist es her, daß AMORPHIS ihre überaus erfolgreiche Langrille "Tales From The Thousand Lakes" unters Volk brachten. Schaut man sich im Vergleich dazu andere Newcomerbands an, könnte man zu der Vermutung gelangen, daß die Finnen die Produktivität auch nicht gerade mit Löffeln gefressen haben...
Dennoch wäre es falsch, die Schuld an der langen Wartezeit bis zum "Elegy" betitelten Drittwerk alleine der Band in die Schuhe zu schieben, wie mir Gitarrist und Kreativpol Esa Holopainen bestätigt.
Wir hatten mit den Aufnahmen bereits im Frühjahr 95 begonnen, aber das Sunlight-Studio war kurz zuvor in ein größeres Gebäude umgezogen und noch nicht fertig eingerichtet. Dann haben wir gewartet und gewartet, aber selbst bis zum Herbst war das Studio nicht fertig. Daher konnten wir dort nur die Drums und Gitarren aufnehmen, den Rest haben wir dann in Finnland gemacht, an zwei verschiedenen Orten. Darüberhinaus hatten wir Probleme, einen neuen Sänger für die klaren Vocalparts zu finden. Wir hatten zwar zwischenzeitlich einen gefunden, der klang aber in etwa so wie der von HELLOWEEN, und das war eigentlich nicht die Art von Vocals, die wir wollten. Bis wir dann unseren neuen Sänger Pasi Koskinnen gefunden und eingearbeitet hatten, verging halt seine Zeit. Aber im Wesentlichen lag's am Studio. Wir hatten keine Ahnung, daß sich das so lange hinziehen würde. Es hieß immer, nächste Woche sei das Studio fertig, und eine Woche später hörten wir genau dasselbe. Ich denke, daß wir in Zukunft gar nicht mehr im Sunlight-Studio aufnehmen werden. Das ist nicht mehr der richtige Ort für uns, weil unsere Musik mittlerweile nicht mehr so straight ist. Für ENTOMBED oder so mag's vielleicht okay sein, aber nicht für uns. In Finnland waren wir dann im Studio eines Freundes, in dem wir ohne Druck arbeiten konnten und so lange Zeit hatten, wie wir wollten. Dort haben wir Gesang, Bass und Akustikgitarren aufgenommen, und für die Keyboards sind wir nochmal in ein anderes Studio. Abgemischt wurde das Ganze dann in Liverpool. Das nächste Album werden wir wohl komplett in Finnland oder in Liverpool produzieren.
Nachdem das letzte Album sich textlich mit dem Kalevala, dem finnischen Nationalepos, auseinandergesetzt hatte, wählte man für "Elegy" nun das Kanteletar, das vom selben Autor stammt, jedoch nicht eine durchgehende Story enthält, sondern eher eine Sammlung von einzelnen Geschichten darstellt.
Das Problem von "Tales From The Thousand Lakes" war, daß wir nur einen Teil der Geschichte, die hinter dem Kalevala steht, in die Texte einbeziehen konnten, weshalb viele Leute den Inhalt wohl nicht verstanden haben. Diesmal benutzen wir dagegen in sich abgeschlossene Geschichten. In denen geht es um Glauben, um philosophische Dinge, um Traditionen, aber im Wesentlichen um die Gefühle der Menschen. Das Ganze ist jedoch nicht die Erzählung eines einzelnen Mannes, sondern eine Sammlung von Geschichten, die alte Männer ihren Söhnen erzählen, diese wiederum ihren Söhnen, und so weiter. Was diese Geschichten für den einzelnen bedeuten, ist allerdings von Person zu Person unterschiedlich. Mich berühren sie beispielsweise anders als dich.
Und warum benutzt ihr erneut alte finnische Literatur für eure Texte?
Ja, ich weiß auch nicht. Je mehr wir von dem Stoff gelesen haben, um so mehr haben wir uns auch dafür interessiert. Ich denke, wir werden diese Art Literatur auch in Zukunft benutzen. Und falls wir irgendwann mal anfangen, uns selber Texte aus den Fingern zu saugen, werden sie wohl denselben Inhalt haben, weil dieses Thema so schnell nicht langweilig wird. Das Wichtige daran ist allerdings nicht, daß diese Stories aus Finnland sind. Wir wollen ja nicht, daß nur Finnen sie verstehen können. Wichtiger sind vielmehr die Geschichten an sich.
Von wem stammt denn ursprünglich die Idee, diese Art Literatur als Grundlage für die Texte heranzuziehen?
Eigentlich interessiert sich die gesamte Band bereits seit etwa vier Jahren für finnische Literatur. Frag' mich nicht, warum; das kam einfach so. Mittlerweile sind wir alle schon ziemliche Freaks auf diesem Gebiet, und das Ganze ist einfach unheimlich interessant. Witzig ist in dem Zusammenhang, daß wir diese Sachen bereits in der Schule lesen mußten, und damals sagten wir nur: Oh Shit! This book sucks! Jetzt sind wir älter, und es steht kein Zwang mehr dahinter, und wenn man diese Literatur von sich aus lesen will, dann ist das gleich etwas ganz anderes.
Ähnlichkeiten zum letzten Album gibt es jedoch nicht nur textlich, sondern auch in der Musik, die sich meiner Meinung nach nicht übermäßig verändert hat...
Oh, das ist lustig, denn alle Leute außer dir sagen, wir hätten uns stark verändert. Ich stimme dir allerdings zu. Und abgesehen vom neuen Sänger, dem verstärkten Einsatz von Keyboards und mehr Seventies-Einflüssen liegt der Unterschied hauptsächlich in der besseren Produktion. Ich meine, auf "Tales ..." paßte die Produktion schon zum Album, und das war ja auch eine wichtige Scheibe für uns, die wir nach wie vor mögen. Dennoch ist die Produktion auf "Elegy" um Längen besser, so daß du wirklich alle Instrumente heraushören kannst und nicht so einen Klangbrei hast.
Da ihr ja nun schon mehr klare Vocals auf der Platte habt, stellt sich die Frage, ob denn die Death Metal-Growls überhaupt noch zur Musik passen?
Von den Gründungsmitgliedern, zu denen ich auch gehöre, kam auch schon mal der Vorschlag, ganz auf diese Growls zu verzichten und sich auf die klaren Vocals zu beschränken. Da waren aber die neueren Bandmitglieder dagegen, also entschieden wir uns, beide Gesangsstile auch in Zukunft beizubehalten. Und ich finde, das bildet auch einen guten Kontrast zueinander. Die Growls sind heutzutage halt mehr eine Art Effekt, und auch eines unserer Markenzeichen.
Aber diese Death Metal-Growls könnten vielleicht den ein oder anderen potentiellen Fan vom Kauf eures Albums abhalten...
Ja, vielleicht, aber darüber denken wir nicht nach. In erster Linie machen wir die Musik, die wir wollen. Ich meine, auf der anderen Seite gibt es sicher auch viele alte Fans, die das neue Album nicht so gut finden, und wir hoffen halt, daß sowohl alte als auch neue Fans tolerant genug sind, um "Elegy" zu mögen.
Wenn ihr diese Zeilen lest, werden AMORPHIS die neue Scheibe bereits auf dem ein oder anderen Festival vorgestellt haben. Für alle, die diese Events verpaßt haben, ließ Esa noch durchblicken, daß für den Spätsommer eine sechswöchige Europatour geplant ist. Also: Watch out!
Ein weiteres Interview mit AMORPHIS, schon gut ein Jahr alt und auf englisch,
aber ziemlich lustig, findet ihr
hier.
Mehr Informationen gibt's (leider auch nur in englisch) auf folgender Page:
Amorphis
(BNR Metal Pages)
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