Dan Swanö ist immer wieder für eine Überraschung gut. War es zuletzt sein Soloprojekt NIGHTINGALE, das er nicht nur vollkommen alleine einspielte, sondern das auch eine gänzlich andere musikalische Richtung einschlug, so ist es jetzt die aktuelle CD seines Hauptbrötchengebers EDGE OF SANITY, die aus einem einzigen Song von vierzig Minuten Dauer besteht. Grund genug, mir den überaus redseligen Schweden an die Strippe zu holen.
Dan, warum ein Album mit einem einzigen Song?
Die Idee zu "Crimson" entwickelte sich im Wesentlichen aus drei Ursachen heraus. Die erste war einfach reine Frustration, denn wir hatten keine Ahnung, was wir jetzt eigentlich machen sollten. Die letzten beiden Alben, "Spectral Sorrows" und "Purgatory Afterglow", waren sich ziemlich ähnlich und dienten dazu, eine Basis zu schaffen, auch in kommerzieller Hinsicht. Obwohl ich eher ein Gegner dieses Kommerzdenkens bin: ich mache gerne Dinge, von denen ich glaube, daß niemand sie mag, und wenn doch, dann ist das prima. Ich mache einfach, was ich will, unabhängig von Marktchancen. Damit lebe ich auch ein wenig in der Vergangenheit, und bin vielleicht so drauf wie die Musiker der Siebziger. Der zweite Grund für dieses Album war der Wunsch, irgendwie etwas anderes abzuliefern als der ganze Rest, und der dritte war, EDGE OF SANITY in bestimmter Hinsicht auf eine Ebene zu stellen mit Bands wie JETHRO TULL, MIKE OLDFIELD oder MARILLION, die auch schon Alben mit nur einem Song aufgenommen haben. Auch wenn diese Musiker die Alben in einzelne Abschnitte unterteilt haben, was meiner Meinung nach nicht nötig ist. Ich sehe "Crimson" mehr wie einen Film; ich sehe Bilder vor meinem geistigen Auge, und die CD ist eine Art Soundtrack dazu, passend zu den Lyrics. Und wenn der Hörer realisiert, daß dieser eine Song eben nicht unterteilt ist, dann versteht er vielleicht, daß es wirklich ein in sich abgeschlossener Song ist, und nicht 25 kleine, unterschiedliche Musikfragmente, die irgendwie versuchen, zusammenzupassen. Und ich bin auch ein bißchen stolz auf "Crimson", denn diese 1-Track-Idee funktioniert, und zwar besser als auf den anderen Alben mit nur einem Song, die ich gehört habe, inklusive derer, die ich wirklich mag. Ich wollte diese Alben auch übertreffen, und so mit meinen Idolen wetteifern, was ein unheimlich starker Antrieb war. Wir haben die Musik zu "Crimson" sehr sorgfältig arrangiert, um sicherzustellen, daß dieser Song wirklich etwas Besonderes hat, und daß wir im Verlaufe des Songs auch immer wieder zum Kernthema zurückfinden und nicht zu weit abschweifen.
Waren euch beim Schreiben dieses Songs denn die textlichen Inhalte schon bewußt? Die Texte selber sind ja erst später entstanden.
Was vorher schon feststand, war lediglich das Cover. Ich habe dem Zeichner vor den Aufnahmen meine Ideen geschickt, damit das fertige Cover auch zur fertigen CD paßt. Unser Job bestand also darin, Texte zu schreiben, die zum Cover passen und es erklären. Und am Ende gelangten wir zu dieser Story über die letzte Menschheitsgeneration. Bei uns entstehen die Texte immer erst nach der Musik, denn für mich ist die Musik wichtiger. Bei vielen Bands ist es für den Sänger wichtig, was er da von sich gibt, aber ich bin aus dieser Sicht eher ein Musiker als ein Sänger. Ich meine, die Texte sind schon wichtig, und mit "Crimson" sind sie für uns wichtiger denn je, aber die Musik hat nach wie vor Priorität.
Kannst Du mir eine kurze Zusammenfassung der Story geben?
Tja, auch eine kurze Zusammenfassung wird wohl ziemlich lang werden, und für die volle Version bräuchten wir vermutlich fünf Stunden. Aber ich werd's versuchen: Es geht um die letzte Generation der Menschheit, also die wirklich letzte, die keine Kinder mehr bekommen kann. Jeder, der stirbt, kommt in so einen roten Tank, wie du sie auf dem Cover siehst (crimson heißt auf deutsch karminrot - d. Verf.), um die Körper so lange zu erhalten, bis irgendwer vielleicht herausfindet, wie man sie ins Leben zurückholen oder reproduzieren kann. Aber als die Königin auf einmal schwanger wird, ist man sich einig, daß dies ein Geschenk der Götter sein muß, da auch der König keine Kinder bekommen kann. Die Menschen fangen an, das Neugeborene anzubeten, aber dieses Kind sorgt im Endeffekt dafür, daß die Menschheit einen Krieg anfängt, der sie für immer zerstören soll, damit es kein menschliches Leben mehr auf der Erde gebe. Und die höhere Kraft, die hinter diesem Kind steht und es auf die Erde gebracht hat, kann das Leben auf ihr beenden, so wie sie es auf dem Mond, Mars, Uranus oder wo auch immer getan hat. Das ist im Prinzip die Story. Sie ist vielleicht ein bißchen bösartig, aber andererseits auch so fiktiv, daß niemand auf die Idee kommt, so etwas könne Realität werden. Im Gegensatz zu den Texten auf meinem Solo-Album, bei denen sich die Leute fragen, ob die Inhalte aus meinem Leben stammen, weil so etwas wirklich möglich ist.
Wurdest du durch irgendetwas zu diesen Texten inspiriert, sei es eine Fantasy-Story oder ein Film oder sowas?
Ich werde manchmal durch Kleinigkeiten inspiriert. Zum Beispiel könnte ich ein einziges Wort nehmen und ein Konzept drumherum bauen. In diesem Fall habe ich einen Film namens "Stargate" gesehen, habe allerdings nur einzelne Elemente aus diesem Film entnommen und in einer Art Bibliothek in meinem Kopf wieder abgelegt. Ich mochte einige Einzelheiten aus diesem Film, zum Beispiel die wüstenhafte Landschaft, das Eis, die Persönlichkeit verschiedener Charaktere. Das ein oder andere habe ich wohl auch aus dem Fernsehen oder aus Büchern. Es ist eine Sammlung aus allem möglichen. Und aus den einzelnen Bildern in dieser Bibliothek habe ich letztendlich die Story geformt.
Hast du denn Angst vor der Zukunft?
Manchmal schon, denn ich habe einen Sohn, und wünsche mir, daß er eine Welt hat, um aufzuwachsen. Aber wirkliche Angst habe ich eigentlich nicht. Ich weiß wohl, daß die Zukunft härter werden könnte als die bisherigen 22 Jahre meines Lebens, aber ob das wirklich der Fall sein wird, weiß auch niemand.
Persönlich bevorzugst du ja mehr komplexere Musik, wie die anfangs erwähnten MARILLION. Andererseits startete EDGE OF SANITY als Death Metal-Band. Wie paßt das zusammen?
So stimmt das eigentlich nicht. In Wirklichkeit startete E.O.S. als technische Thrash-Band, und die eingeschlagene Entwicklung ist meiner Meinung nach ganz natürlich, denn auch Symphonic Rock ist manchmal sehr kraftvoll, schnell, oder abgedreht. Und wenn ich einen Schritt weiter denke, dann habe ich eine neue Form des Thrash Metal, eben mehr metalorientierten Symphonic Rock. Und genau diese Musik haben wir eine Zeitlang gemacht, in unserer Demo-Phase. Bevor wir ans erste Album gingen, fanden wir allerdings Death Metal irgendwie cooler (lacht), und sind halt zu einer Death Metal-Band geworden, ohne wirklich genau zu wissen, warum. Denn das, was wir vorher machten, war natürlich wesentlich origineller als das Aufspringen auf diesen Death Metal-Zug. Andererseits brachten wir auch Thrash-Elemente in den Death Metal, und klangen wirklich nie wie eine typisch schwedische DM-Combo, wie beispielsweise ENTOMBED, DISMEMBER oder GRAVE. Als ich das erste Mal im Leben Death Metal hörte, fand ich es ziemlich schrecklich, aber wir haben auch versucht, diesen Stil ein wenig zu verändern, ein wenig anhörbarer zu machen, was uns teilweise auch gelang.
Mittlerweile sind natürlich noch andere Einflüsse im E.O.S.-Sound auszumachen, wie etwa NIGHTINGALE...
Naja, es ist weniger NIGHTINGALE, sondern eher ein bißchen mehr von mir selbst. Seit ich Musik mache, war NIGHTINGALE eigentlich immer ein Teil davon, wenn auch nicht in der Form, die du erwartest. Für mich bedeutet NIGHTINGALE etwas anderes als für dich, ein bestimmtes Feeling, eine bestimmte Art, kreativ zu sein. Für dich ist es nur eine CD, für mich ist es ein Lebensstil. Auch wenn ich versucht hätte, eine Oper zu schreiben, oder eine Kinder-Schallplatte, hätte es dennoch diesen NIGHTINGALE-Touch gehabt.
Die NIGHTINGALE-CD war ja nun kommerziell recht erfolgreich, so etwa 10.000 verkaufte Einheiten. Planst du denn noch mehr in der Art?
Ja, ich gehe im April schon wieder ins Studio. Das Ganze wird wohl die natürliche Weiterentwicklung der ersten CD werden, wenn auch ein bißchen anders in der Instrumentierung. Der musikalische Inhalt wird allerdings der gleiche bleiben, und auch das gleiche Feeling transportieren, aber es wird bestimmt keine bloße Kopie.
Du verbringst ja scheinbar deine meiste Zeit im Studio. Sei es nun mit E.O.S., alleine für NIGHTINGALE, oder für dein anderes Sideprojekt UNICORN. Außerdem produzierst du auch andere Bands. Hast du überhaupt mal Freizeit, für deine Familie oder so?
Ja sicher. Und zwar mehr als jemand, der einen normalen Beruf und eine Menge Hobbies hat. Ich gehe morgens um neun zur Arbeit, komme abends um sechs nach Hause, und dann bin ich ein reiner Familienvater. Ich passe auf das Kind auf, trinke Kaffee, unterhalte mich mit Freunden, also all die Dinge, die ein normaler Mensch auch macht. Andere Leute haben vielleicht rund um die Uhr mit Musik zu tun, hören sich abends Demos an oder machen Live-Auftritte, was ich nicht tue. Für mich ist also der Gang ins Studio wie für andere Leute der Gang zur Arbeit.
Werden wir dich denn mit E.O.S. mal live sehen können?
Ja, natürlich, aber erst mußte das Feeling dafür da sein, und wir werden auch schon Ende Mai/Anfang Juni nach Deutschland kommen. Ich hoffe nur, daß die Leute uns auch sehen wollen. Wir rechnen jedenfalls mit mehr als fünf Leuten pro Show.
Wie wollt ihr "Crimson" denn live umsetzen?
Ich habe zwar einige Ideen, weiß aber, daß sie nicht realisierbar sind. Deswegen versuchen wir's erst gar nicht. Wir werden den Set also aus den bisherigen viereinhalb Alben zusammenstellen.
Nun könnt ihr ja von "Crimson" schlecht ein Video drehen, und der Song wird auch kaum in Rock-Discos gespielt werden. Stört euch diese kommerzielle Einschränkung?
Sie würde es vielleicht, wenn ich in Deutschland leben würde und direkt mitbekäme, wie erfolgreich diese Art von Musik sein kann. Vielleicht hätten wir dann "Crimson" niemals aufgenommen. Aber hier? Wir wurden noch nie im Radio gespielt, und noch nie in irgendwelchen Rock-Discos. Insofern habe ich auch die kreative Freiheit, das zu tun, was ich will. Vielleicht sind die Fans ein wenig enttäuscht oder verwirrt, weil sie erwarten, uns im TV zu sehen oder in Rock-Discos zu hören. Aber "Crimson" ist definitiv nicht zu diesem Zweck gemacht, es ist vielmehr das genaue Gegenteil. Diese Scheibe muß man sich alleine anhören, es ist eine Scheibe zum Relaxen, wie eine Hypnose oder eine Reise.
Man muß sich "Crimson" aber wohl auch mehrere Male anhören, um die Platte gut zu finden...
Ja, wie gesagt, die CD ist halt wie ein Film. Weißt du, du kannst dir eine Komödie anschauen, lachst ein wenig darüber, und vergißt sie wieder. Oder du siehst einen Film von Bergman oder so, einen wirklich tiefgehenden Film, der dich voll gefangennimmt. Und nachdem du einen solchen Film fünfmal gesehen hast, stellst du fest, daß du eine Erfahrung gemacht hast, die Teil deines Lebens geworden ist. Und eine solche Reaktion möchte ich auch mit "Crimson" erzielen. Vielleicht sollte diese Scheibe mit dem Hinweis verkauft werden, die Finger davon zu lassen, sofern man nicht open-minded ist. Sie ist wie eine CD-ROM, mit dem Unterschied, daß du keinen Computer dafür brauchst, sondern nur deinen Geist. Diese Scheibe enthält verborgene Botschaften, sie ist wie Hypnose. Sie führt dich an Plätze, an denen du nie zuvor warst. Aber du mußt in der richtigen Stimmung dafür sein, und du mußt Zeit mitbringen. Ich höre mir "Crimson" niemals an, wenn ich nicht vollkommen entspannt und in der richtigen Stimmung bin. Daher habe ich mir auch noch keine Platte so selten angehört wie "Crimson", gerade drei Mal jetzt seit ihrer Veröffentlichung.
Laß uns nochmal ein wenig über die Vergangenheit sprechen: meiner Meinung nach ist "Enigma" der beste Song, den E.O.S. je fabriziert haben. Wie ist deine Meinung dazu?
Du scheinst einen sehr guten Musikgeschmack zu haben, denn ich sehe das genauso. "Enigma" war einer der wenigen Songs, die unsere beiden Gitarristen und ich gemeinsam geschrieben haben. Ich hatte damals einige Ideen für diesen Song, und sie schienen zunächst nichts besonderes zu sein. Und auch "Enigma" war nichts besonderes bis zu dem Moment, als ich den klaren, sauberen Gesang dazu aufgenommen hatte, und dann machte es nur "Bang! This is the song!" Als wir damals "Unorthodox" aufnahmen, hätten wir "Enigma" fast vergessen, denn wir hatten eine ganze Menge Songs, und "Enigma" war ja zunächst nichts besonderes. Wir rechneten eher damit, daß "Curfew For The Damned" oder "Everlasting" die besten Songs seien. Aber als "Enigma" schließlich im Kasten war, sind wir schreiend herumgesprungen im Studio. Wenn ich mich recht erinnere, hatte vorher noch niemand saubere Vocals auf einer Death Metal-Scheibe, und vielleicht gäbe es E.O.S. ohne "Enigma" heute gar nicht mehr. Denn die klaren Vocals machten viele Leute auf E.O.S. aufmerksam, das war damals einfach etwas neues. Und ich hoffe, daß wir jetzt mit "Crimson" vergleichbare Reaktionen erzielen, daß die Leute ihren Freunden von E.O.S. erzählen und neues Leben in die Fangemeinde bringen. "Purgatory Afterglow" war dagegen einfach viel zu normal. Wir nahmen dafür zehn Songs, der eine mehr gothic, der andere mehr rockig, und die Leute haben fünf Minuten darüber geredet und die Sache dann vergessen. Aber was "Enigma" betrifft, hast du vollkommen recht: "Enigma" fuckin' rules!
Weitere Informationen (leider nur in englisch) findet ihr auf der
EDGE OF SANITY
Page (BNR Metal Pages).
Das EDGE OF SANITY-Logo ist der EOS-Fanpage von Nicole
(home.swipnet.se/~w-25731/music/eos/main_frame.htm)
entnommen.
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