Hundred Years

Hilfe zur Selbsthilfe

(Interview mit Tedi, April 1997)

Das nenne ich professionell. Da liegt HUNDRED YEARS-Sänger und -Gitarrist Tedi seit vier Tagen mit 40 Grad Fieber im Bett, und kaum ist er in der Lage, einen Hörer festzuhalten, ohne von einem Schwächeanfall dahingerafft zu werden, schon klemmt er sich wieder an die Strippe, um in der Weltgeschichte rumzutelefonieren.

Und das nur, weil irgendein Musikjournalist im fernen Deutschland etwas über diese bereits seit sechs Jahren existierende Band schreiben will, welche kürzlich ein Album namens "Skyhook" veröffentlicht hat. Tedi, wo kommt ihr eigentlich her und was gibt es so über eure Historie zu erzählen?

Wir kommen aus Klaukkala, einer kleinen Stadt in der Nähe von Helsinki. Das ist übrigens die Hauptstadt von Finnland (Ach nee - d. Verf.). Wir sind vier Jungs: Mike am Schlagzeug, Pete am Bass, Tapio an der Gitarre, und ich, ja ich bin der Tedi, und ich bin so 'ne Art Frontmann der Band, ich schreibe die Musik, die Lyrics, ich spiele Gitarre, und singen tue ich auch noch. Zufälligerweise stammt Timo Tolkki von STRATOVARIUS auch aus Klaukkala. Deswegen haben wir schon mit ihm zusammengearbeitet, zum Beispiel als Produzent, weil wir ihn schon so lange kennen, genau wie die Bandmitglieder untereinander. Ach ja, unsere History. Angefangen hat das, als wir so 14 oder 15 waren, halt Kids, da spielten wir schon mal in einer Band zusammen. Später haben wir dann zeitweise getrennt voneinander, zeitweise aber auch zusammen Musik gemacht. Wir haben in allen möglichen Bands gespielt und alle möglichen Arten von Musik gemacht. Nicht nur Metal, sondern alle Arten von Rock-Musik. Vor allem Coversongs von A bis Z. MAIDEN, AC/DC, LED ZEPPELIN, BLACK SABBATH und blablabla, und auch von den BEATLES. Zwischenzeitlich habe ich auch in Southern Rock-Bands gesungen, die Musik machten im Stile von BAD COMPANY oder FREE. Aber wir vier hatten eigentlich immer schon gemeinsame Faves, Bands wie THE CULT oder VAN HALEN. Letztendlich fanden wir 1991 endgültig zusammen, und seitdem gibt es uns unter dem Namen HUNDRED YEARS.

Es war zu lesen, daß euer Bandname als Anklage an die Menschheit gedacht ist, die unseren Planeten in den letzten hundert Jahren weiter zugrunde gerichtet hat als in den vielen Jahrtausenden davor...

Hundred Years (Foto) Ja, das steckte ursprünglich dahinter. Ich muß allerdings dazu sagen, daß dieses Motto heute nur noch teilweise zutrifft. Der Name stammt halt aus den Anfangstagen der Band, als unsere Texte noch kritischer und direkter waren. Heute haben wir zwar auch noch einige kritische Texte, aber einige sind auch eher persönlicher Natur. Das hält sich so einigermaßen die Waage. Allerdings geht irgendwo das eine ja auch ins andere über. Ich meine, um die Gesellschaft ist es hier in Finnland ziemlich schlecht bestellt, und wir haben eine Arbeitslosenquote von 20 oder 25 Prozent. Hier leben insgesamt etwa fünf Millionen Menschen, von denen vielleicht zwei Millionen wirklich arbeiten. Da kommt es dann natürlich vor, daß auch in deinem Freundeskreis etliche Leute ohne Arbeit dastehen, und wenn ich dann einen persönlichen Text schreibe, dann kann darin auch schon wieder Gesellschaftskritik auftauchen. Aber einige sind dann doch wesentlich weniger konkret, da geht es dann zum Teil auch um den Sinn des Lebens oder um Träume oder so.

Hat sich denn auch eure Musik in den vergangenen Jahren verändert, und wenn ja, inwiefern?

Ja, ich denke wir sind eingängiger geworden. Früher waren wir doch ein wenig experimenteller veranlagt, da haben wir dann auch Jazz-Elemente und sowas in unsere Musik einfließen lassen. Wenn du jetzt wissen willst, wie man unsere Musik am besten bezeichnet, kann ich da gar keine so konkrete Antwort drauf geben. Ich würde sagen, daß es einfach irgendwie in diese Hard Rock-Schiene paßt. Ich wehre mich ehrlich gesagt auch ein wenig gegen dieses Schubladendenken. Warum muß denn alles immer irgendwie eingeordnet werden, zumal ja doch jede Musik unterschiedlich ist? Ja, ich weiß ja, daß es speziell euch Journalisten hilft, die Sachen zu beschreiben, aber trotzdem ...

Zunächst mal war ich beim Hören der CD und dem Anschauen des Booklets ja ein wenig verwirrt; stehen da doch 16 Texte drin, obwohl die Scheibe nur 13 Songs enthält ...

Sorry, aber das ist ein bißchen dumm gelaufen im Vorfeld, du hast nämlich eine Vorab-CD. Die Sache war, daß wir außer den Sachen, die auf das Album sollten, noch einige Stücke mehr aufgenommen hatten, für eine eventuelle Japan-Pressung oder diverse Singles, und da von vorneherein nicht hundertprozentig klar war, was nachher auf die CD kommt, gab's das Booklet halt erstmal mit allen Texten. Auf der Platte, die im Handel erhältlich ist, sind aber auch nur 13 Stücke drauf, und da paßt das Booklet dann auch dazu. Die Coverversion, die wir aufgenommen haben ("Beds are burning" von MIDNIGHT OIL) ist einer von diesen Songs. Das war eine ganz witzige Geschichte. Tapio kam während der Aufnahmen, als wir mal eine Pause machten und so im Studio rumhingen, mit der Idee, diesen Song aufzunehmen. Ich habe ihn natürlich erstmal gefragt, was für Drogen er genommen hätte und wie zum Henker er auf diese Idee käme. Danach ist er allerdings ein Tape mit diesem Stück holen gegangen, wie haben es ein paar Mal gespielt, und dann haben wir es aufgenommen. Am Ende war dann Timo Tolkki von STRATOVARIUS, der die Scheibe mit uns produziert hat, der Meinung, das Teil müsse unbedingt auf die eigentliche CD mit drauf, und da ist es jetzt auch zu finden. Irgendwo paßt dieser Song natürlich auch vom Inhalt her zu uns, geht es doch um das Problem der Aborigines in Australien, womit wir dann auch wieder dabei wären, woher unser Bandname kommt.

Einer der Songtexte, zu denen Tedi eher durch eine persönliche Geschichte inspiriert wurde, ist der von dem Stück "Liar".

Da geht es genaugenommen um einen Bekannten von mir, der ständig gelogen hat. Also nicht so wie du oder ich, die wir hin und wieder vielleicht mal eine Notlüge gelten lassen, sondern andauernd. Das war schon richtig krankhaft und ging am Ende so weit, daß er sogar dann gelogen hat, wenn man ihn nach seinem Namen fragte. Er hat sich so aus seinen ganzen Lügen eine Scheinwelt aufgebaut, die natürlich irgendwann zusammenbrechen mußte. Und diese Lügen waren zum Teil so abstrus, das konnte man ihm gar nicht mehr glauben. Diese Geschichte und diese Person waren in erster Linie die Inspiration; man kann den Text natürlich auch allgemeiner verstehen. es gibt ja sicher noch mehr Leute auf dieser Welt, die den Drang zum Lügen haben, und auf die trifft das genauso zu.

In dem Song "When the day is here" geht es dagegen offenbar um Außerirdische. Glaubst du denn an sowas?

Naja, ich würde es mal so sagen: ich glaube daran, daß es irgendwo da draußen noch anderes Leben gibt, egal in welcher Form auch immer. Vor einigen Monaten wurde ja auch auf Gesteinsbrocken vom Mars Leben entdeckt ...

Naja, Leben ist vielleicht eine etwas übertriebene Bezeichnung für ein paar organische Moleküle ...

Hundred Years (Karikatur) Aber wenn du einfach mal durchrechnest, wieviel Sonnen und Planeten es im Universum gibt, so ist es schon sehr wahrscheinlich, daß es irgendwo Leben gibt. Und ganz allgemein ist es auch so, daß, wenn wirklich Leben gefunden wird, die Informationen wohl auch nicht so an die Öffentlichkeit gelangen, wie man sich das wünscht. Wenn die Menschheit einsehen muß, daß sie gar nicht so einmalig ist, wie das über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg angenommen wurde, dann dürfte ja doch für etliche Leute und Institutionen eine Welt zusammenbrechen. In erster Linie natürlich für alle möglichen Religionen. Hast du von dem Massenselbstmord in L.A. gehört?

Äh, nee.

Das war so Mitte März, als der Komet Hale-Bopp gerade zu sehen war. Da gab es eine Art Sekte, die glaubte, daß sich hinter diesem Kometen ein Ufo verbirgt, das gekommen wäre, um ihre Seelen zu erretten. Also nahmen sich zwei Dutzend Leute kollektiv das Leben, um von dem Ufo eben gerettet zu werden.

Naja, nun glauben diese Leute wohl gar nichts mehr.

Ne, haha. Aber die Situation dieser Leute ist typisch für das, was den Albumtitel und das Cover kennzeichnen. Im Titelsong gibt es die Textzeile "Watch the sky, take a real good look, it's a skyhook". Das bezieht sich auf so eine Phrase aus dem Amerikanischen. Leute, die sich in einer ausweglosen Situation befinden, wünschen sich, daß von irgendwoher Hilfe kommt, ein Haken, an den sie sich klammern können und der sie aus dem ganzen Dreck rauszieht. Und das ist halt dieser Skyhook. Und das siehst du auch auf dem Cover: Ein Mann in einer ausweglosen Situation auf dem Sims eines Hochhauses. Vor ihm hängt ein von oben kommender Haken, und er hat nun zwei Möglichkeiten: entweder springt er in die Tiefe, oder er springt zu diesem Haken, damit der ihn aus der Scheiße zieht. In Wahrheit ist dieser Skyhook, auf den die Leute hoffen, natürlich in den seltensten Fällen ein richtiger Ausweg, es wäre wünschenswert, wenn die Leute stattdessen versuchten, sich selber irgendwie zu helfen. Das ist vielleicht auch etwas, was ich mit meinen Texten erreichen will: die Leute dazu zu bringen, selber ihr Leben mehr in die eigenen Hände zu nehmen und sich nicht immer auf Hilfe von woanders zu verlassen.

Da Tedi mir noch verrät, daß seiner Meinung nach die Live-Auftritte das Wichtigste an der ganzen Musik sind, und auch der eigentliche Grund, daß die Jungs überhaupt Musik machen, stellt sich die Frage, ob denn die Band schon daran arbeitet, mal eine ordentliche Tournee auf die Beine zu stellen.

In der Vergangenheit ist das mit unseren Liveauftritten etwas dumm gelaufen. Im Klartext: Es lief nix. Es war nach der letzten Scheibe eine Tour im Gespräch mit SKYCLAD und MOONSPELL, aber irgendwie ist da nichts draus geworden. Diesmal wollen wir die Scheibe aber in jedem Fall live promoten.

Dann hoffen wir mal, daß das klappt.

Restless

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