Oomph!

Ängste und Aggressionen

(Interview mit Dero, Oktober 1996)

Mit "Wunschkind" hat das Braunschweiger Trio OOMPH! für sein viertes Album mal wieder einen Titel gewählt, der textlich einiges verspricht. Musikalisch sind die Jungs irgendwo zwischen EBM und Metal zuhause und daher vielleicht nicht unbedingt jedermanns Sache. Dennoch traf ich mich eines Abends mit ModernMusic-Promoter Björn und OOMPH!-Sänger Dero beim Mexikaner in Köln, um etwas mehr über diese Band zu erfahren.

Dero, wer oder was ist OOMPH!?

Uns gibt es seit 1990, und OOMPH! ist so das erste ernsthafte Projekt derer, die bei uns den kompositorischen Stamm ausmachen, das heißt Crap und Flux an der Gitarre und meine Wenigkeit. Wir waren zwar schon vor OOMPH! musikalisch aktiv, aber nur in Kellercombos und Garagenbands, nix ernsthaftes also. So Mitte bis Ende der 80er haben wir in diversen New Wave und Punkbands gespielt, also das, was wir damals, als Teenager, auch selber hörten und gut fanden. Gefunden haben wir uns dann durch Zufall auf einem städtischen Festival, auf dem jeder mit seiner eigenen Combo am Start war. So in einer Bierlaune sind wir dann ins Gespräch gekommen und merkten, daß wir denselben musikalischen Background hatten, und auch so ziemlich dieselbe Vorstellung von der musikalischen Zukunft. Und dann dachten wir: Warum nicht mal was gemeinsames probieren? Wir waren alle sehr vom traditionellen Metal beinflußt. So war meine erste selbstgekaufte Scheibe die "Back In Black" von AC/DC. Mitte der 80er fand ich das jedoch schon unheimlich interessant, was so aus der Elektronik-Szene rüberkam, so fast schon als Gegenbewegung zu diesem Metal-Klischee, was sich gebildet hatte. Ich meine damit, daß es viele Combos gab, denen es wichtiger war, daß ihre Dauerwelle gut saß oder ihre Augen schön geschminkt waren, als daß die Mucke möglichst authentisch ist. Also mehr Schein als Sein. Aber mit Elektronik meine ich jetzt nicht diese Disco-Elektronik, sondern mehr die experimentelle und avantgardistische Elektronik, die zum Beispiel in Deutschland von KRAFTWERK auch schon Ende der 70er zelebriert wurde, oder auch in sehr provokativer Form von DAF Anfang der 80er. Wir alle drei hatten ja eigentlich mit Gitarrenmusik angefangen, fanden aber diesen von der Elektronik-Musik her kommenden Gegensatz faszinierend. Und dann dachten wir uns: Warum sollen wir das nicht verbinden? Nun kam auch dazu, daß damals die Szenen auch sehr abgegrenzt waren. Die Gitarren-Fraktion haßte alles, was mit Elektronik und Tastendrückerei zu tun hatte, und umgekehrt genauso. Ich fragte mich dann auch, warum soll da nicht ein Austausch stattfinden, auch ideologisch? Und als wir uns letztendlich zusammensetzten, hatte sich auch jeder schon den ersten Synthesizer gekauft. Und 'ne E-Gitarre hatte auch jeder. Außer mir, ich kann nämlich keine Gitarre spielen. Und dann haben wir die zwei Richtungen halt verbunden. Unsere erste Scheibe war dann allerdings sehr elektroniklastig, denn damals waren wir noch sehr fasziniert von der Technik und den Möglichkeiten, die man damit hat. Die Gitaren waren da erstmal nebensächlich. Das war dann aber auch bald schon ein wenig ausgereizt. Außerdem wollten wir nicht zu einseitig und steril wirken, sondern auch diesen analogen und stets wandelbaren Effekt der Gitarren mit einbringen. Eine Gitarre klingt nie gleich, jeder Anschlag ist anders, da ist dann auch ein bißchen Zufall mit dabei. Und die reine Elektronik und die Computerarbeit minimieren diesen Zufallseffekt schon genug. Daher kam es auf dem zweiten Album schon wieder zu einer Gleichberechtigung, von der Instrumentierung her, und auf dem dritten fast schon wieder zu einer Überproportionalität der Gitarren. Und dadurch lernen wir auch immer wieder neue Seiten an uns kennen.

Nun ist es jedoch so, daß eure neue Platte gerade zu einem Zeitpunkt rauskommt, zu dem die Mixtur aus Metal und EBM sehr populär ist. Man denke da nur an DIE KRUPPS und vor allem RAMMSTEIN. Wahrscheinlich werdet ihr Stimmen zu hören bekommen, die sagen: Aha, jetzt machen die auch sowas.

Wir haben allerdings schon 93 mit der "Sperm"-LP ein gleichberechtigtes Verhältnis von Elektronik und Gitarren gehabt. Nun haben uns leider Bands wie die eben genannten marketingtechnisch überholt. Aber wir haben natürlich eine viel längere Geschichte. Solche Vorwürfe können von daher nur von solchen Leuten kommen, die nur neuere Veröffentlichungen kennen. Selbst das "Defekt"-Album, der direkte Vorgänger der aktuellen Scheibe, kam deutlich früher raus als etwa die RAMMSTEIN-CD. Wir haben also schon einen gewissen Background vorzuweisen. Obwohl uns natürlich bewußt ist, daß wir nicht so bekannt sind wie andere Bands aus dem Bereich. Andererseits ist es allerdings so, daß sich etwa RAMMSTEIN in Interviews auf uns berufen und sagen, ohne OOMPH! wüerde es sie gar nicht geben.

Jetzt mal zur Musik selber. Die klingt ja nun sehr aggressiv und dient wohl auch zur Verarbeitung von Aggressionen. Woher kommen die bei euch?

Das ist sehr vielschichtig. Zum Großteil sind das natürlich irgendwelche Ängste und Aggressionen aus der frühesten Jugend, weil das die prägendsten Jahre sind. Darüberhinaus natürlich auch Einflüsse, die wir alle kennen, etwa, daß es ökologisch den Bach runtergeht, oder daß man politisch immer eine Machtlosigkeit spürt, obwohl wir ja eigentlich in einer Demokratie leben. Das ist so eine Art Resignation, weil man da ja doch keine Chance hat. Und weil wir nicht resignieren wollen, entstehen eben Wut und Aggression, die wir aber auch als Bestandteile unseres Lebens akzeptieren. Und die Musik kann natürlich eine sehr gute Plattform sein, um diese Aggressionen zu filtern und damit klarzukommen. Und sich auch mal mit der Gesellschaft und sich selber auseinanderzusetzen.

Hörst du denn auch selber aggressive Musik?

Zum Teil. Aber ich höre auch viel melodiöse und ruhige Sachen. Ich bin zum Beispiel ein sehr großer Fan von Filmmusik, oder auch klassischer Musik. Generell versuche ich, meinen musikalischen Horizont ziemlich weit zu halten, weil jeder Musiker natürlich auch beeinflußt wird durch die Sachen, die er selber hört. Da kann mir keiner erzählen, daß das nicht so ist, obwohl das viele tun. Naja, und dementsprechend viel versuche ich halt zu hören, damit meine Einflüsse möglichst vielseitig sind.

Wobei auf "Wunschkind" auffällt, daß die einzigen weniger aggressiven Songs zwei Instrumentals sind. Sind sie das vielleicht deshalb, weil du keine Lust hattest, weniger aggressive Texte zu schreiben?

Nee, die sind von vornherein als Instrumentalstücke geplant gewesen. Wir legen viel Wert darauf, daß eine Platte nicht zu einseitig wird. Auch was die Gesamtstimmung anbelangt. Solche Stimmungs- und Emotionsbreaks sind also schon gewollt. Wir wollen nicht von vorne bis hinten das volle Brett abliefern, weil das in sich auch wieder langweilig wird. Wir wollen vielmehr ein rundes Gesamtbild aufbauen. Übertragen gesprochen: Die ganze Welt und die Gesellschaft besteht ja nicht nur aus Wut, Aggression und Schnelligkeit, sondern es gibt auch ruhige, besinnliche und stille Momente im Leben. Und das wollten wir halt auch in die Musik einfließen lassen

Kann man denn, von den Texten her, die gesamte Platte unter ein bestimmtes Motto stellen?

Es ist thematisch als direkte Fortführung des Vorgängeralbums zu sehen. "Defekt" bezog sich auf die Reflexion des Innenlebens und die Defekte, die man so als erwachsener Mensch hat. Ich wollte nach dem Abschluß dieser Thematik auch die Frage stellen, woher das alles kommt. Dabei bin ich sehr schnell zu dem Schluß gekommen, daß es Einflüsse aus der frühesten Kindheit sind, die bewirken, daß man als Erwachsener ein bestimmtes Verhaltensmuster aufweist. Man kann sich sehr schwer von diesen in die Seele eingestanzten Ereignissen seiner frühesten Kindheit lösen. Deshalb fand ich diese zynische Auseinandersetzung mit dem Thema sehr gelungen, genauso wie den Titel "Wunschkind". Ich habe mich dabei natürlich auch gefragt, ob ich selber ein Wunschkind bin. Und daher sehe ich die Texte auch ein bißchen so als Selbstsuche an. Ich wollte nicht einfach irgendwelche Textpassagen bringen, nur um irgendein Klischee zu erfüllen. Und dann stößt man grundsätzlich auf die Kindheit als prägendstes Element des Erwachsenseins. Es ist daher auch irgendwie sehr autobiographisch.

Nun geht es ja auf dem Album nicht nur um Kindheit. Beispiel: "I.N.R.I. vs. Jahwe".

Ich bin zweifelsohne sehr christlich beeinflußt. Das liegt einerseits an unserer Gesellschaft, andererseits daran, daß ich zehn Jahre lang auf eine katholische Schule gegangen bin bzw. gehen mußte. Zum dritten, weil meine Eltern sehr religiös waren und sind. Und da haben wir auch wieder den Faktor Kindheit. Ich würde mich aber heute eher als Atheist bezeichnen. Nichtsdestotrotz ist das Thema immer noch aktuell und interessant für mich. Ich glaube, daß der Mensch Jesus mal existiert hat. Und ich wollte ihn als schizophrene Person darstellen. Ich stelle ihn mir vor wie die in der Bibel beschriebene Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und heiliger Geist. Das sind dann die drei Persönlichkeiten, die sich im ganz normalen Menschen Jesus manifestiert haben. Ich sehe Jesus irgendwo als Genie an, das aber diese Grenze zum Wahnsinn überschritten hatte und schizophren wurde. Das war so meine Annäherung an das Thema.Und ich finde den Kampf der beiden Persönlichkeiten sehr interessant: der Vater, diese alt-testamentarische Person Jahwe, und der Sohn Jesus, also die neutestamentarische Person I.N.R.I.. Und diese Forderung des Vaters, daß sich der Sohn doch hingeben solle für die Menschheit als Liebesbeweis. Dagegen rebelliert der Sohn, der eigentlich weiterleben möchte und seine Macht, die er rhetorisch und von seiner Ausstrahlung her ganz offensichtlich auf Menschen ausüben konnte, doch lieber weiter ausüben will. Und der resultierende Machtkampf war dann halt sehr interessant für mich.

Nochmal Thema Kindeserfahrungen: Wenn man als Kind negative Erfahrungen macht und Defekte mitbringt, liegt das wohl in erster Linie an der Erziehung. Dann sind aber offensichtlich viele Leute nicht in der Lage, Kinder zu erziehen. Aber wenn alle unfähigen Eltern darauf verzichten würden, Kinder in die Welt zu setzen, wäre es wahrscheinlich ziemlich bald ziemlich leer hier, oder?

Ich glaube an das Gleichgewicht der Dinge in der Welt und in der Gesellschaft und innerhalb der ganzen Physik. Von daher denke ich auch, daß es noch genug Eltern gibt, die in der Lage sind, ihre Kinder verantwortungs- und liebevoll zu erziehen. Genauso viele wie die, die das nicht können. Letztere tun's dann leider trotzdem, wegen mangelnder Bereitschaft, sich selber zu hinterfragen und sich ihre Unfähigkeit einzugestehen. Das bedingt meiner Meinung nach, daß wir so viele Arschlöcher und Kriege auf der Welt haben. Es gibt leider immer noch zu viele Menschen, die ihre eigenen Defekte an ihre Kinder weitergeben.

Im Großen und Ganzen bist du demnach nicht sooo hoffnungslos und angsterfüllt...

Naja, eines der bestimmendsten Gefühle ist nun mal die Angst: Angst vor Krieg, Krankheit, Arbeitslosigkeit. Oder auch die Partnersuche, die nichts anderes ist als die Angst vor Einsamkeit. Angst zieht sich durch die ganze Gesellschaft.

Hast du denn auch Angst vor dem Alter?

Auf jeden Fall. Ich glaube, die hat jeder irgendwie. Einerseits weiß man ja nie, was aus einem selber wird, andererseits ist man natürlich beeinflußt durch die Werbung mit ihren Jugendidealen, auch wenn man das selber nur ungern akzeptiert. Da wird einem ja fast schon ein faschistoides Menschenbild mit arisch selektierten Schönheitsidealen suggeriert. In der Werbung akzeptiert man eben nur Menschen bis zu einem bestimmten Alter. Dem können wir uns auch gar nicht entziehen, selbst wenn wir uns dessen bewußt sind, weil man täglich damit bombardiert wird. Es sind also Ängste da, die unterbewußt auf einen einwirken. Man versucht zwar, diese zu bekämpfen, wenn man sich ihrer bewußt ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob man da wirklich immer in der Lage ist, über den Dingen zu stehen.

Die Musik ist also für die Band neben dem Aggressionsabbau dann wohl auch der Versuch, mit der Angst fertigzuwerden. Auf die Frage, ob man mit der Mucke auch irgendetwas bewirken wolle, antwortet Dero:

Es ist in erster Linie nur für uns selbst. Natürlich ist es ein willkommener Nebeneffekt, wenn jemand aus Gesprächen wie diesem, das du dann ja irgendwo abdruckst, oder aus den Texten irgendwas für sein persönliches Leben herausholen kann. Aber in erster Linie mache ich die Musik nur für mich, und schreibe die Texte nur für mich. Ich setze mich auch nicht hin und sage: Dies oder jenes könnte ein potentieller Hit werden, oder dies oder jenes könnten die Leute gut finden. Ich muß lediglich hundertprozentig mit meinem Produkt zufrieden sein, dann kann es auch den Fans gegenüber glaubwürdig erscheinen und eine gewisse Authentizität beinhalten. Und dann freut es mich natürlich auch, wenn sich die Scheibe gut verkauft.

Ob sie das denn tut, da möchte ich hier mal lieber keine Prophezeiungen abgeben. Tatsache ist, daß sie zumindest für die Leute interessant ist, die mit der Symbiose aus Elektronik und Gitarren was anfangen können. Aber das wißt ihr nach der Lektüre dieses Interviews ja selbst.

Restless


Fotos: Marc Stantien

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