Saxon

In alter Frische

(Interview mit Biff Byford, April 1997)

Nachdem IRON MAIDEN sich im Laufe der Zeit doch stark verändert haben und JUDAS PRIEST den Arsch nicht mehr hochbekommen, sind SAXON (seit fünf Jahren wieder) zum Heavy Metal-Flagschiff aufgestiegen. Was nicht bedeutet, daß nicht auch diese Band Qualitätsschwankungen unterliegt, wie das eher schwächere "Dogs Of War"-Album zeigte.

Verglichen mit den letzten beiden Alben, klingt die Produktion der neuen Scheibe "Unleash The Beast" ungewöhnlich frisch.

Wir hatten uns zwar ein ganzes Jahr Zeit gelassen, um Songs zu schreiben, aber die Songs, die letztendlich auf der Platte landeten, sind in deutlich kürzerer Zeit entstanden. Einige andere Songs sind dafür auf der Strecke geblieben, weil wir uns mit ihnen nicht mehr so identifizieren konnten. Die Aufnahmen selber hatten wir in 28 Tagen im Kasten, deswegen klingt das Album so frisch. Und natürlich haben wir mit Doug Scarrat einen neuen Mann dabei. Er hat eine Menge an Material für das Album geschrieben, insgesamt über die Hälfte. Etwa 75 Prozent der Gitarren stammen von ihm. Der Weggang von Graham macht sicher auch was aus. Wir können jetzt einfach mehr Sachen machen und haben größere musikalische Freiheiten. Graham war von der Technik her kein besonders guter Gitarrist, mit Doug an der Gitarre haben wir da einfach mehr Möglichkeiten. Graham schien irgendwie im Gitarrenspiel der 60er Jahre festzuhängen. Doug ist dagegen ein ganz anderes Kaliber, er könnte auch bei DREAM THEATER mitspielen. Aber zurück zur Produktion: Es lief eigentlich alles sehr gut. Alle waren in guter Stimmung, und Kalle (Trapp, der Produzent - d. Verf.) war in Topform.

Graham hat also die Entwicklung der Band behindert?

Ich denke, daß beste Album mit Graham war "Power And The Glory". Danach fingen eigentlich schon die ersten Probleme mit ihm an. Ich weiß manchmal nicht, was in anderen Menschen vorgeht. Bei Graham dachte ich, ich kenne ihn sehr gut.

Was weißt du über sein SONOFABITCH-Projekt?

Ah, fuck it! Die kriegen eh den Arsch nicht hoch. Soweit ich weiß, waren sie zum Beispiel in Deutschland immer noch nicht auf Tour. Ihr Album ist auch total flach. Du hörst es an, sagst dir: klingt okay, und fünf Minuten später ist es langweilig. Die Anfänge der Songs sind alle gut, aber dann wird es immer schnell langweilig. Es gibt keine Höhepunkte in den Songs. Ich mag "Sideways Down The Highway", das ist wie klassische AC/DC, aber sonst? Es ist auch recht altbackene Musik. Das Schlagzeug klingt grauenvoll. Aber der Gesang ist okay.

Der Release von "Unleash The Beast" fällt zeitlich zusammen mit einem Live-Album mit den Donnington-Tracks von 1980 ...

Das ist das Album, das Graham ohne unser Wissen gemacht hat. Ich habe das Album zunächst verhindert, während der "Dogs Of War"-Tour. Später habe ich mit dem Menschen von der entsprechenden Plattenfirma gesprochen und gesagt, wenn er will, kann er es veröffentlichen. Ich meine, es ist soweit okay, und mein Gesang kommt gut. Der Sound als Ganzes, vor allem Gitarren und Drums, ist natürlich schrecklich. Und die Leute müssen wissen, daß es ein Bootleg ist, keine offizielle Aufnahme. Es ist von einer Cassette auf CD überspielt worden. Und zu der Zeit, als es rauskommen sollte, war es illegal. Sie hätten meine Erlaubnis dafür gebraucht, und ich wußte nicht einmal davon. Deswegen habe ich seinerzeit eine einstweilige Verfügung erwirkt. Die Gegenpartei stellte es dann so hin, als ginge es um den Namen SAXON. Aber das ist Quatsch, es ging nur um dieses Album. Graham behauptet heute noch, es sei um die Rechte am Bandnamen gegangen.

Zurück zu SAXON selbst: Ist es schwierig für Doug, in ein funktionierendes Bandgefüge hineinzuwachsen?

Was heißt schwierig? So ist das im Business: Wenn du gut bist, schaffst du es, wenn nicht, dann nicht. Wenn jemand keine Songs schreiben kann, auf der Bühne nicht gut ist und nicht Gitarre spielen kann, wird er nicht lange in einer Band bleiben. So einfach ist das. Es ist vielleicht schwierig von der nervlichen Belastung her, denn er ist von professionell arbeitenden Leuten umgeben. Und Doug hat mehr diesen Session-Musiker-Background. Aber nur weil er nicht in einer Band war, ist er trotzdem genauso ein Musiker wie andere. Weißt du, wir mögen Leute, die nicht so bekannt sind. Aber Doug wird seinen Weg gehen. Schon auf der "Dogs of War"-Tour hat er einen guten Job gemacht. Nach nur drei Tagen Probe. Das ist gut. Aber speziell in der Slovakei, da haben wir vor vielen Leuten in einer großen Halle gespielt, da war er ein wenig nervös.

Warum habt ihr das aktuelle Album "Unleash The Beast" genannt?

Das ist eine gute Metapher und ein guter Titel. Jeder hat ein Biest in sich, und wenn du es loslassen willst, tu es!

Es klingt nach einem recht rauhen Album ...

Im Großen und Ganzen ist es recht ausgeglichen, auch textlich. Es geht um düstere als auch heitere Sachen. Es gibt viele Songs über den Tod. Es ist insofern eigentlich kein typisches SAXON-Album. Es geht ein bißchen tiefer, sowohl musikalisch als auch textlich. Etwa "Ministry Of Fools". Dieser Song ist sehr politisch. Aber andererseits: Solche unüblichen Sachen hatten wir auch früher hin und wieder mal. Etwa "747" oder "To Hell And Back Again". Eigenartige Themen.

Der Song "Thin Red Line" hat eher einen historisch-geschichtlichen Hintergrund. Interessierst du dich näher für dieses Themengebiet? Ich meine, auf fast jedem Album ist ein Song in der Art.

Ja, ich mag dieses Thema. Wenn ich Texte schreibe, brauche ich schon ein Thema mit etwas Tiefgang und Substanz, sonst langweilt mich das. So typische 08/15-Texte wie "... I wish you were here tonight ..." und ähnliche interessieren mich nicht, so wie sie etwa von BRYAN ADAMS kommen. Sowas höre ich vielleicht gerne, aber textlich ist es uninteressant. das wäre halt einfach eine Story, aber viele Leute schreiben bessere Love-Stories als ich.

Das Cover ist wieder mal recht typisch für euch ...

Das stammt von demselben Menschen wie das von "Crusader", "Rock The Nations" oder "Dogs Of War". Der Kerl ist ein guter Freund von mir.

Es ist ja ein wenig aus der Mode gekommen, gemalte Cover zu verwenden, aber ihr scheint dabei bleiben zu wollen, so von wegen "klassisches Heavy Metal-Cover"...

Ich mag sie. Wir wollten uns mal von diesem klassischen Stil wegbewegen, mit "Power And The Glory" oder "Innocence Is No Excuse", aber ich weiß nicht, ob jemand diese Cover wirklich mochte. Nach einer Show auf der "Innocence ..."-Tour fragte mich jemand, was das für T-Shirts seien, und er sagte, daß er nicht 20 Dollar für diesen angeknabberten Apfel auf einem Shirt ausgeben werde. Also kehrten wir zu diesen klassischen Covern zurück. Obwohl ... ich mochte das Mädchen mit dem Apfel. Es war halt eine Fotografie, und die Idee war auch gut, aber die Fans mochten es halt nicht. Diese klassischen, gemalten Cover sind natürlich irgendwo auch blutrünstiger.

Saxon Das neue Album klingt einerseits nach typisch klassische SAXON, beinhaltet andererseits aber auch neue Einflüsse, wie andere Melodien und Gesangslinien. Ist das auf den Einfluß von Doug zurückzuführen?

Nein, das liegt vielmehr daran, daß ich vor drei oder vier Jahren aufgehört habe zu rauchen, als meine Frau schwanger war. Und vor ein oder zwei Jahren ist meine Stimme dann wieder richtig gut geworden. Auf "Unleash The Beast" bin ich das erste Mal wieder in der Lage, meine Stimme richtig flexibel einzusetzen. Und damit hat es wohl eine Menge zu tun. Meine Stimme ist wieder da, so wie früher, während ich zwischendurch von den Höhen einiges verloren hatte - von den Tiefen aber auch. Zum ersten Mal hatte ich das auf der "Dogs Of War"-Tour gemerkt, wo ich Abend für Abend immerhin zweieinhalb Stunden lang auf der Bühne stand und gesungen habe, was bei älteren Sängern eigentlich nicht die Regel ist. Naja, und deshalb sind die Melodien diesmal etwas hervorstechender.

Ich dachte bei dieser Frage vor allem an "Cut Out The Disease" ...

Hm, speziell dieser Song ist eher auf einem niedrigeren Stimmlevel. Aber das ist trotzdem einer meiner Lieblingstracks, wegen der Atmosphäre, die er transportiert.

Wenn jemand dir erzählt, SAXON's Musik sei old-fashioned, was antwortest du diesen Leuten?

Ich weiß nicht, wie jemand so etwas ernsthaft behaupten kann, wenn er das neue Album gehört hat. Denn es enthält außer der klassischen SAXON-Seite eine Menge recht moderner Einflüsse. Auch im Gesang. Ich denke, das passiert aber allen alten Bands, die mehr als zehn Jahre aktiv sind. Wenn jemand nicht den Enthusiasmus besitzt und die Zeit aufbringt, sich SAXON anzuhören, wird er behaupten, es sei old-fashioned. Aber nicht, wenn er das Album gehört hat. Ein großer Teil der Musik ist nämlich auch nicht von alten Männern geschrieben worden, sondern von Doug oder Nibbs.

Aber es wird wohl immer hart sein für eine alteingesessene Band wie SAXON, neue Fans zu erreichen, die diese Band nie gehört haben. Das Durchschnittsalter bei SAXON-Konzerten liegt ja nun beispielsweise deutlich über dem Black Metal-Schnitt ...

Es gibt aber schon etliche junge Fans darunter. Ich denke, vor allem "Solid Ball Of Rock" hat in dieser Hinsicht einige Barrieren für uns eingerissen. Aber: Das Alter der Band ist eigentlich nebensächlich. Ich kann diese Kritik verstehen bei Bands wie SWEET, die immer und immer wieder die alten Songs spielen, aber nicht bei einer Band wie SAXON, die ständig neue Songs schreibt und neue Alben rausbringt.

Könntest du dir vorstellen, mit einer Band wie AEROSMITH oder BON JOVI auf Tour zu gehen, um das mehr mainstream-orientierte Publikum zu erreichen?

Ja, schon, aber wir werden es wohl nie tun, weil wir nicht genug mainstream sind. Wir sind nicht kommerziell genug, auch wenn es immer wieder Leute gibt, die uns genau das vorwerfen. Tja, und die härteren Bands würden uns auch nicht als Support wollen, weil wir das Publikum zu sehr auspowern.

SAXON hatten harte Zeiten in der zweiten Hälfte der Achtziger, als sie sich mehr auf den amerikanischen Markt orientierten. Wie ist euer Stellenwert heutzutage in England oder Europa?

England interessiert uns nicht so sehr. Heutzutage sind nicht mal mehr Bands wie U2 groß in England. Die typische englische Musik von heute ist so komischer Gitarrenpop. Das Problem der Rockmusik ist, daß es kein mittleres Level gibt, es ist okay, wenn man die Stadien oder große Hallen ausverkauft, wie Wembley, aber das können wir nicht. Es gibt keine Halle für etwa 2000 Leute, in denen wir spielen könnten, und in Kneipen treten wir eigentlich nicht mehr auf. Wir touren zwar mit sieben oder acht Dates durch England, nach der Deutschland-Tour, aber es ist definitiv nicht so, wie es mal war. Viele geplante Tourneen, auch von anderen Bands, werden wieder gecancelt, weil niemand Tickets kauft.

Was hältst du von der Entwicklung eurer alten Kollegen, sprich anderer alter Metal-Bands wie etwa IRON MAIDEN?

Die großen unter ihnen haben sich eigentlich nicht besonders stark verändert. Aber was ich nicht gut finde, ist, wenn sich ein Sänger zu sehr verändert. Bei der Musik ist eine Entwicklung oder Veränderung nicht so wild, aber wenn ein Sänger seinen Gesangsstil total verändert. Bei IRON MAIDEN singt jetzt ein anderer Sänger andere Melodien, vielleicht meinst du das mit Entwicklung ...

Nicht nur.

Vielleicht bist du ein großer MAIDEN-Fan und beschäftigst dich deshalb intensiver mit der Musik. Ich habe das letzte Album nur ein paar Mal gehört, ich bin nämlich kein besonders großer MAIDEN-Fan. Als Musiker bist du überhaupt kein wirklicher Fan von irgendwem. Alles, was du hörst, hörst du irgendwo mit einem skeptischen Blick bzw. Gehör, wie es Musiker nun mal tun. Ich höre mir gar keine guten Sachen an, sondern nur schlechte, haha. Aber so ist man als Musiker.

Naja, solange er gute Musik macht, ist es okay. Denn das erwarten wir von ihm. Aber so ist man als Fan.

Restless

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