Trinker an die Macht

(Interview mit Sami Lopakka, Dezember 1996)

Mit dabei auf den Dark Winter Night-Festivals waren SENTENCED, die sich mit ihrem aktuellen Album "Down" endgültig von ihren todesmetallischen Wurzeln gelöst haben. Als ich den Backstage-Bereich der Dortmunder Ruhr-Rock-Hallen betrete, erblicke ich erstmal einen Haufen trinkender Finnen, die aber damit vollends ausgelastet zu sein scheinen. Zumindest verweisen die drei SENTENCED-Musiker, denen die Bierflaschen scheinbar an den Lippen kleben, einstimmig auf den vierten im Bunde, Gitarrist Sami Lopakka, der aber im Moment noch mit einem anderen Interview beschäftigt ist. Als ich nach einigen Minuten an der Reihe bin, lenke ich das Gespräch zunächst mal auf das allseits beliebte Thema Line-Up-Wechsel.

Seit einigen Monaten habt ihr einen neuen Sänger. Ich will jetzt mal nicht fragen, wieso der alte gegangen ist, denn diese Frage hast du sicher schon oft genug beantworten müssen. Aber wo habt ihr denn den neuen aufgegabelt?

Wir hatten einige Anzeigen in finnischen Magazinen gestartet, und etwa 30 Kandidaten haben sich darauf gemeldet. Die meisten waren für uns vollkommen uninteressant. Viele waren typische Death Metal-Shouter, die überhaupt nicht singen konnten und von daher auch nicht zu unserer Musik paßten. Die zehn oder elf vielversprechendsten Kandidaten haben wir dann näher angecheckt, aber wir hatten nicht das Gefühl, daß der richtige dabei ist. Letztendlich haben wir unseren neuen Sänger Ville in einer Kneipe gefunden. Einige Leute unterhielten sich darüber, daß SENTENCED einen neuen Sänger suchen, und Ville hat das dann auch mitbekommen. Irgendwann ist Vesa, unser Drummer, zu ihm rübergegangen und hat ihn gefragt. Wir waren ziemlich betrunken und einigten uns darauf, daß er am nächsten Tag vorbeikommen und vorsingen solle. Und er war genau der Mann, nach dem wir gesucht hatten.

Normalerweise schreibt in vielen Bands der Sänger die Texte, aber bei euch ist das anders. Warum schreibst du sie alle? War es einfach nur zu spät für Ville, um seinen Teil beizusteuern?

Ach, das ist einfach so passiert. Aber in der Tat war es für Ville zu spät, sich am Schreiben der Texte großartig zu beteiligen. Wir haben immerhin zwei Songs zusammen geschrieben. Vielleicht schreibt er auf dem nächsten Album eine Hälfte und ich die andere. Aber solange er hinter meinen Lyrics steht, ist das kein Problem. Und das ist wohl auch der Fall.

Der Titel des neuen Albums ist "Down". Warum habt ihr diesen Titel gewählt, und was bedeutet das Wort für euch?

Das Wort paßt sehr gut zu der Negativität und dem Pessimismus, der sowohl in den Texten als auch in der Musik dieses Albums steckt. Genauso wie zum Cover, das zwar in gewisser Weise romantisch wirkt, aber trotzdem was depressives hat. Das Wort "Down" hat hierbei keine spezielle Bedeutung, was politisches oder so. Es kommt einfach aus uns persönlich. Es steht für alles, was dir so in den Sinn kommt, wenn du dieses Wort hörst. Es hat viele Bedeutungen, genauso wie das Album viele verschiedene Ebenen berührt, verschiedene Gefühle. Daher dachten wir, das es die Sache gut trifft.

Warum schreibst du denn so pessimistische und negative Texte? Seid ihr denn alle so pessimistisch? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen ...

Wenn du's genau wissen willst: Wir sind in der Tat so pessimistisch! Du siehst nur nicht ständig, wie wir wirklich sind. Aber jedesmal, wenn ich einen Stift und ein Stück Papier nehme, und mir unsere Songs anhöre, die noch einen Text benötigen, dann kommen diese pessimistischen Worte aus meinem Kopf. Und vielleicht ist dies eine Art und Weise, mit diesen Gefühlen fertigzuwerden. Wenn ich etwa darüber schreibe, mich umzubringen, dann muß ich's nicht tun, haha.

Willst du denn mit diesen Texten irgendwen erreichen oder beeinflussen und irgendeine Botschaft übermitteln, oder willst du dich damit nur selber reflektieren?

Das ist nur für mich. Ich sage ja nicht, daß irgendjemand anders sich umbringen soll. Das wäre ziemlicher Blödsinn. Ich schreibe nur über meine eigenen Gefühle, und darauf will ich keine Reaktionen von irgendwem. Ich schreibe nur, was ich fühle, und über meine Erfahrungen, die ich im Leben mache. Und, wie gesagt, um mit negativen Gefühlen fertigzuwerden. Aber darin steckt keine Botschaft an irgendwen, das ist nur für uns. Eine Art Therapie oder sowas.

Sehen das die anderen Bandmitglieder denn ähnlich. Sind die genauso pessimistisch drauf wie du?

Ja, mehr oder weniger. Und es würde auch gar nicht funktionieren, wenn irgendjemand die ganze Zeit nur fröhlich wäre und gute Laune versprühen würde. Wir hängen die ganze Zeit zusammen rum, wenn wir beispielsweise auf Tour sechs oder sieben Wochen im selben Bus leben müssen. Um miteinander klarzukommen, müssen sich die Leute schon irgendwie ähnlich sein. Von daher sind die anderen auch in derselben Art pessimistisch, wie ich es bin.

Verbringt ihr denn viel Zeit zusammen?

Während der Aufnahmen oder auf Tour in jedem Fall. Wir treffen uns manchmal auch in unserer Freizeit, aber nicht so oft.

Macht ihr denn nur Musik, oder verbringt ihr eure Zeit auch mit anderen Dingen?

Zur Zeit ist es mehr oder weniger das einzige. Aber ich habe schon Hobbies: Ich lese viel und schreibe auch. Aber keinen Sport oder so. Ville geht regelmäßig ins Fitness-Studio. Er macht aber nicht so richtig Body-Building, sondern hält sich einfach nur ein wenig in Form. Miika spielt manchmal Eishockey oder ähnliches. Aber unser größtes Hobby ist natürlich die Musik, und das ist die Hauptsache, egal, was wir sonst so anstellen.

Du sagtest, du schreibst. Was denn? Irgendwelche Geschichten?

Ja, aber das ist etwas nur für mich persönlich. Diese Sachen sind voller schwarzem Humor und so. Vielleicht werde ich zustimmen, wenn jemand sie in zehn Jahren oder so mal in einem Buch veröffentlichen will. Aber bis dahin sind sie nur ein Hobby, und nur für mich selbst.

Steckt da dieselbe Intention dahinter, sprich: mit irgendwelchen Gefühlen fertigzuwerden?

Ja, kann schon sein. Aber wenn ich diese Geschichten schreibe, bringe ich viel mehr Humor ein. Die drehen sich im wesentlichen ums Trinken oder ähnliches.

Laß uns mal ein anderes Thema ansprechen, die Musik selbst. Die hat sich sehr stark verändert, vom ersten Album bis heute. Viele alte Fans werden das nicht gutheißen, und ihr werdet sicher auch Kritik zu hören bekommen.

Die Veränderungen geschahen ja im Laufe der Jahre, und wir machen immer das, was wir machen wollen und wonach wir uns fühlen. Wir wollen auch nicht darüber nachdenken, wie die Leute auf unsere Musik reagieren werden. Unsere Musik ist in erster Linie für uns, und da kümmern wir uns auch nicht um den Rest der Welt. Und bisher war das eigentlich nur gut für uns, denn von jedem neuen Album haben wir mehr verkauft als vom vorhergehenden. Natürlich verlieren wir jedesmal ein paar Fans, aber wir gewinnen auch immer mehr neue dazu.

Aber von einem gewissen Standpunkt aus ist diese Entwicklung ja auch irgendwie ziemlich trendgerecht. Es gibt schließlich viele Bands, die als Death Metal Combo angefangen haben und sich später zum Melancholic Metal oder wozu auch immer hin entwickelt haben. Gehören diese Bands zu euren Haupteinflüssen, oder wie würdest du diese Entwicklung erklären?

Vielleicht mag es trendy sein, seinen musikalischen Stil zu ändern, aber du kannst definitiv nicht behaupten, wir liefen irgendeinem Trend hinterher. Wir sind immerhin vier verschiedene Leute in der Band, von denen jeder eine andere Musik bevorzugt. Und immer, wenn wir einen neuen Song schreiben, bringt jeder ein bißchen von sich selbst und von seinem Background in diesen Song mit ein. Dabei entsteht immer ein Song von vier Leuten, und ich weiß nicht, ob es zufällig so ist, daß wir uns in derselben Richtung fortentwickelt haben wie andere Bands. Es klingt vielleicht ziemlich klischeehaft, wenn ich das als natürlichen Fortschritt oder sowas bezeichne, aber so passiert es nun mal.

Vielleicht, weil ihr einfach älter werdet?

Nee, glaub' ich nicht. Eher die Art, wie wir denken. Die beeinflußt schließlich alles, was wir tun. Jahr für Jahr denken wir - und du übrigens auch - ein wenig anders, und das beeinflußt alles.

Ist unter euch jemand, der eine besondere stilistische Note in eure Musik einbringt? Sei es jemand, der gerne Klassik hört oder jemand, der immer noch auf Death Metal steht?

Der Hauptsongwriter ist natürlich Miika, von daher beeinflußt er unseren Stil am stärksten. Und er hört alles mögliche an Musik. Klassik, oder viel von dem, was auf MTV so läuft, aber eigentlich alles. Außer Country. Und auch keinen Techno oder Dance. Aber er hat den größten Einfluß auf die Musik. Dann ist da Ville, der auf Metal steht. Ich denke, das kann man seinem Gesang auch anhören. Ich höre viel alten Kram, aber auch Klassik und Metal. Eigentlich ist jeder unserer Songs eine Ansammlung verschiedener Gefühle. Du kannst da niemandem einen besonderen Einfluß zuschreiben außer Miika.

Ich würde sagen, wir lassen es damit mal bewenden. Wie sehen denn eure Pläne für das kommende Jahr aus?

Wir werden also mindestens eine Europa-Tour machen. Bis jetzt steht noch nicht fest, ob als Headliner oder vielleicht co-headlining. Wir denken noch über die verschiedenen Möglichkeiten nach. Ferner haben wir uns auch über Tourneen in den USA oder Japan unterhalten. Wir werden ein neues Video über einen Song der aktuellen Scheibe produzieren. Und natürlich schreiben wir konstant neue Songs, und wir werden im kommenden Jahr eine Mini-CD veröffentlichen, wenn nicht gar ein Full-Length-Album.

Einen weiteren Punkt will ich doch noch ansprechen: Ihr trinkt jede Menge Bier ...

Yeah!

... was auch wohlbekannt ist in der Metal-Szene. Seht ihr keine Gefahr, eventuell einen schlechten Einfluß auf die Kids auszuüben, die ihre Idole ständig mit einer Flasche Bier am Hals sehen?

Wir wollen nicht die Idole von irgendwem sein. Wenn wir trinken, so hat das auch nichts mit dem Musikbusiness zu tun. Wir trinken lediglich so, wie wir es von Finnland her gewohnt sind. Und ihr hier in Mitteleuropa habt halt andere Trinkgewohnheiten. Daher erregen wir auch Aufsehen, wenn wir ständig Bier oder Wodka trinken. Und was ich den Leuten in Mitteleuropa an dieser Stelle sagen muß: Ihr müßt nicht trinken, nur weil wir es tun, haha. Aber ein anderer Punkt ist: Trinken, ohne hinterher betrunken zu sein, ist Blödsinn! Das ist nur Alkoholverschwendung. Wann immer ihr trinkt, müßt ihr am Ende besoffen sein. Nur das macht Sinn. Und verschwendet bloß keinen Alkohol!

Genau das hat mein Vater auch immer gesagt. In diesem Sinne: Prost!

Restless

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Foto: O. Recker