Wir schreiben den 22. Dezember des Jahres 1996, und SKYCLAD sind mal wieder in unseren Breitengraden unterwegs. Diesmal, um "Oui Avant-Garde A Chance" zu promoten, ein recht ungewöhnliches Metal-Album, das eigentlich gar keins ist und folgerichtig meist nur "The Folk Album" genannt wird.
Ungewöhnliche Alben verlangen ungewöhnliche Interviews, sage ich mir. Und nachdem mich Martin Walkyier, Sänger der Band und normalerweise bevorzugter Interviewpartner, im Jugendzentrum Andernach begrüßt hat, geselle ich mich zu Violinistin Georgina auf ein altes Sofa, um mit der sympathischen Engländerin mehr über sie als über jenes Album zu sprechen ...
Geboren wurde ich 1970 in England. Mit dem Geigespielen habe ich im Alter von fünf Jahren angefangen. Mein Bruder spielte damals bereits drei Jahre lang Geige, und als meine Eltern mich fragten, welches Instrument ich spielen möchte, habe ich mich halt auch für Geige entschieden. Wahrscheinlich, weil mein Bruder sie auch spielte. Das hatte nämlich zur Folge, daß bei uns zuhause ständig eine Geige rumlag, die ich nur noch aufheben brauchte, um zu spielen. Und bevor ich Unterricht bekam, habe ich, so im Alter von drei oder vier Jahren, auch schon mit den Saiten rumgespielt, und habe dabei natürlich auch schon mal die ein oder andere kaputtgemacht. Das Instrument gefiel mir, und da wollte ich es halt richtig spielen können.
Was hörst du denn persönlich so an Musik?
Ich mag viel Folkmusik, aber auch anderes. Im Prinzip höre ich alle Arten von Musik: Klassik, Jazz, Blues, Folk. Auch Rockmusik und Heavy Metal. Vieles verschiedenes eben.
Wann hast du das erste Mal von der Band SKYCLAD gehört?
Das war bevor Cath Howell, die vorherige Violinistin, zur Band gestoßen ist. Ich hatte erfahren, daß Fritha, SKYCLAD's erste Geigerin, schwanger war, und daß sie jemand neues suchen. Zu der Zeit kam ich mit dem Management in Kontakt, bei der auch Cath unter Vertrag war, und nach einiger Zeit erfuhr ich, daß sie die Band wieder verlassen hat. Daraufhin gab ich Martin ein Tape, und wurde zum Vorspielen eingeladen.
Konntest du dich direkt mit dieser Art Musik anfreunden?
Am Anfang habe ich sie gehaßt. Es kam mir unheimlich schwer vor, diese Musik zu spielen, und ich dachte, ich sei nicht gut genug dafür. Aber nachdem ich bei SKYCLAD vorgespielt hatte, waren sie einverstanden mit mir.
Was war das für ein Gefühl, in einer Metal-Band Violine zu spielen?
Es war großartig. Ich mochte ja auch verschiedene Musikstile, und Musik, wie SKYCLAD sie machen, ist immer eine Herausforderung. Es gibt die unterschiedlichsten Passagen auszuarbeiten, und sie ist nicht einfach zu spielen. Das gibt mir immer wieder einen Kick, und die Sache wird nie langweilig. Ich wußte auch, daß ich nie das Interesse daran verlieren würde.
Hast du, bevor du zu SKYCLAD kamst, in anderen Bands gespielt?
Ja, als ich auf dem College war, habe ich in verschiedenen Bands gespielt, und später auch in einer Pop-Band. Aber wir spielten nur Coverversionen von den POGUES, oder auch Sachen von den LEVELLERS. Ich meine, es machte Spaß, aber ich hatte das Gefühl, daß es mich nicht richtig fordert. Es war zu einfach. So habe ich nach einer Herausforderung gesucht, und die habe ich in SKYCLAD gefunden.
Euer neues Album ist ja sehr Folk-beeinflußt. Wie kam es denn zu dieser Scheibe?
Gute Frage. Es ging wohl davon aus, daß die beiden Hauptsongwriter, Graeme und Steve, einfach mehr Material mit dem Einsatz von Akustikgitarren geschrieben haben ...
An dieser Stelle meldet sich Gitarrist Steve zu Wort, der sich in der anderen
Ecke jenes Sofas rumlümmelt. Leider ist diese immerhin zwei Meter
entfernt, und da von unten die Mucke der Supportband zu uns
hinaufdröhnt, verstehe ich von seinen Ausführungen kein einziges
Wort. Was ich jedoch in Erfahrung bringen kann, ist, daß es sich bei
diesem Album eher um ein Projekt handelt, und daß das nächste wieder
nach den SKYCLAD klingen wird, die wir von den bisherigen Alben gewohnt sind.
Nun ist es ja vor allem in den letzten Jahren so, daß aus allen
möglichen Richtungen neue Einflüsse in die Metal-Szene eindringen.
Die nächste Frage an Georgina ist, ob solche Einflüsse, wie zum
Beispiel auch vom Folk kommend, für den Heavy Metal im allgemeinen
wichtig sind.
Für SKYCLAD ist das kein neuer Einfluß, denn SKYCLAD haben diese Folk-Elemente von Anfang an benutzt, und zwar in ihrer ursprünglichen Form. Und das war und ist auch gut so, denn durch diesen Sound und die Art und Weise, die vorhandenen Instrumente zu benutzen, haben SKYCLAD einen hohen Wiedererkennungswert. Aber soweit deine Frage die Folkmusik betrifft: Ich denke, in ihren Ursprüngen entstammt alle Musik irgendwie der Folkmusik, denn das ist die Musik des Volkes, auf der alles aufbaut. Es ist irgendwie auch eine rituelle Musik. Aber auch ganz allgemein halte ich neue Einflüsse für wichtig, denn sie geben der Musik neue Impulse in unterschiedliche Richungen, so daß sie sich ganz natürlich weiterentwickeln kann.
Wobei natürlich die Gefahr besteht, daß sich die Metal-Szene aufspaltet in diverse Untergruppen, und am Ende wollen die Folk Metal-Fans nichts mehr mit den Death Metal-Fans oder den Alternative Metal-Fans zu tun haben oder umgekehrt. Wie siehst du das?
Weißt du, in verschiedenen Ländern stirbt der Metal, wie in England, wo er einfach nicht mehr die Unterstützung durch die Medien hat, so wie früher. Aber andernorts, wie hier in Deutschland, scheint er immer noch sehr stark zu sein. Gerade gestern haben wir in Querfurt zusammen mit einer Band namens MANOS gespielt, und deren Musik ist vollkommen anders als unsere. Daher dachten wir zunächst, wir würden untergehen bei dem Gig, aber dazu kam es nicht. Und die Leute, die gestern da waren, waren ein Beispiel für diejenigen, die alle Arten von Metal hören. Im Anschluß an das Konzert habe ich mich mit einigen SKYCLAD-Fans unterhalten, was sie von MANOS denken, und in ihren Augen waren MANOS eher eine Entertainment-Band mit einem Death Metal-Background. Ich denke, SKYCLAD werden sich live immer bemühen, unterschiedliche Fangruppen anzusprechen. Und speziell dieses Folk-Album hat ja neue Fans auf uns aufmerksam gemacht. Vielleicht haben wir ein paar Metal-Fans verloren, aber die werden wir mit der nächsten Scheibe wohl wieder zurückgewinnen.
Ist der Metal wirklich tot in England?
Nicht unbedingt tot. Aber er bekommt keine Unterstützung durch die Medien. Aber Bands, die Metal spielen, gibt es natürlich immer noch.
An dieser Stelle meldet sich Steve nochmal zu Wort, und da unten gerade ein Stück zu Ende ist, verstehe ich ihn auch:
Es gibt zwei Dinge, die immer noch relativ groß sind: Das eine ist Black Metal und anderer ultraharter Stoff, wie etwa MACHINE HEAD, und das andere ist Pop Punk wie ihn GREEN DAY oder OFFSPRING machen. Aber dazwischen gibt es nichts. Und ich mag diese sehr harte und aggressive Musik nicht. Für mich macht es keinen Sinn, Musik zu schreiben, die ohne Grund dermaßen aggressiv ist.
Welche unterschiedlichen Einflüsse und Backgrounds tragen denn die veschiedenen Bandmitglieder zum Songwriting-Prozeß bei?
Also, meine Musik ist natürlich sehr Folk-beeinflußt, weil ich nun mal eine Violinistin bin. Graemes Songs sind sehr ungewöhnlich. Sicher gibt's da Unterschiede. Graeme und Steve haben halt einen metallischen Background, da sie vorher ja in reinrassigen Metal-Bands zugange waren. Und auch zwischen Graeme und Steve gibt es Unterschiede. Wie soll ich das erklären?
Das übernimmt Steve, aber da unten der nächste Song angefangen hat,
versteh' ich mal wieder gar nix. Die nächste Frage ist daher wieder
direkt an Georgina gerichtet:
Warum schreibst du eigentlich keine Lyrics? Warum macht Martin das immer?
Ich würde sagen, weil er es gut macht. Seine Texte sind in der Tat so gut, daß kein anderer da einen besseren Job machen könnte.
Die SKYCLAD-Texte klingen immer in irgendeiner Art sehr kritisch. Denkst du, daß es wichtig ist, da irgendwelche Botschaften reinzupacken?
Ja, natürlich. Die Songs müssen eine Bedeutung haben. Für uns haben sie eine, und die müssen wir zu den Fans rüberbringen.
Die SKYCLAD-Songs und Texte bedeuten also mehr als nur "Sex, Drugs, and Rock'n'Roll". Ich frage Georgina, was sie von dieser Phrase hält.
Es gibt bei uns viele Drogen, es gibt viel Rock'n'Roll, aber ob's viel Sex
gibt, weiß ich nicht, haha. Ich denke, das muß jeder mit
sich selbst ausmachen. Dieser Spruch ist ziemlich alt und hat wohl seine
Gültigkeit eingebüßt. Du mußt nicht unbedingt Drogen
nehmen, und du mußt als Musiker auch nicht ständig was mit Groupies
zu tun haben.
Steve: Der "Sex"-Teil des Spruches ist in gewisser Hinsicht
chauvinistisch, und der "Drugs"-Teil ist meiner Meinung nach auch
keine gute Sache.
Um nochmal auf verschiedene Stilrichtungen innerhalb des Metal zurückzukommen, erwähne ich den Begriff Black Metal. Der scheint jedoch für beide mit Death Metal identisch zu sein ...
Sowas höre ich mir eigentlich nicht an. Meiner Meinung nach ist da keine
Melodie drin.
Steve: Ich habe mir schon einige Death Metal-Bands angehört. Und
in vielen Fällen ist ihre Musik richtig gut, aber dann fängt der
Gesang an ... (er grunzt, rülpst und röchelt ein wenig herum)
... und dann schalte ich es einfach nur aus.
Wie sieht denn die Meinung zum textlichen Gegenteil, dem White Metal aus?
White Metal?
Ja. Metal mit christlichen Texten.
Oh, christliche Texte. Habe ich eigentlich noch nix gehört. Das ist auch keine Musik die ich bevorzugt hören würde. Aber offensichtlich glauben die Musiker an etwas. Insofern hat ihre Musik für sie eine Bedeutung. Auch wenn ich mich nicht unbedingt damit identifizieren kann.
Und was denkst du über Religion im allgemeinen?
Religion ist die Hauptursache für den Ausbruch vieler Kriege. Ich finde, jeder sollte etwas haben, woran er glauben kann, und wenn das Gott ist, ist es auch okay. Aber in allen Religionen gibt es eine Menge Heuchelei.
Und Politik?
In England passiert da viel Blödsinn. Die Politiker verbringen eine Menge Zeit damit, irgendwelche Dinge zu diskutieren, aber sie kriegen trotzdem nicht viel auf die Reihe. Außerdem geben sie eine Menge Geld für Waffen und andere sinnlose Dinge aus. Ich wünschte, sie würden weniger reden und mehr handeln.
Zum guten Abschluß nochmal zu dir persönlich: Der Heavy Metal ist ja nach wie vor eine Männerdomäne, und jede Frau wirkt da immer noch ein bißchen exotisch. Wie sieht denn deine Meinung zu Gleichberechtigung und zur Frauenbewegung aus?
In vielerlei Hinsicht ist das eine gute Sache, aber ich denke, es sollte da um
mehr gehen als nur Gleichberechtigung. Viele Frauen beschweren sich über
die herrschende Ungleichheit, darüber, daß da immer noch ein
Unterschied zu bestehen scheint. Aber auf der anderen Seite erwarten sie,
von den Männern ausgeführt zu werden, und daß man ihnen alle
Drinks ausgibt. Es ist wichtiger, sich gegenseitig zu respektieren, egal ob
du männlich oder weiblich bist. Ich rege mich echt über
männerhassende Emanzen auf, denn dieser Haß hilft nicht den
Beziehungen zwischen Männern und Frauen im allgemeinen. Er bewirkt
nur neue Aggressionen und macht die Gräben tiefer.
In meiner Rolle als Musikerin ist es natürlich schon so, daß die
Leute mich anders anschauen, etwa auf der Bühne. Aber ich halte es dann
eher für ein Kompliment, wenn sie über meine Musik und meine
Fähigkeiten als Musikerin sprechen. Denn die sind der Grund dafür,
daß ich bei SKYCLAD dabei bin, und nicht die Tatsache, daß ich
eine Frau bin. Wenn es einen männlichen Violinisten gegeben hätte,
der eine bessere Ergänzung für die Band gewesen wäre als ich,
dann hätte er den Job bekommen. Ich halte es für sehr wichtig,
daß die Leute verstehen, daß es deine musikalischen
Fähigkeiten sind, die darüber entscheiden, ob du in einer Band
spielst, und nicht dein Aussehen.
Gibt es denn manchmal Probleme in der Band für dich, so als Frau unter drei Männern?
Nein. Die drei sind sehr zuvorkommend, respektieren meine Privatsphäre
und behandeln mich eher wie ihre Schwester. Wenn ich ihnen auf die Nerven
gehe, dann würden sie es mir sagen, und umgekehrt.
Steve: Georgina, geh' weg!
Sagt's und fällt fast vom Sofa vor Lachen. Neben dem zweifellos vorhandenen Humor fällt bei den verrückten Engländern auch die Tatsache auf, daß sie alle unheimlich nett sind. Ich glaube, es gibt kaum eine Band, die mit dem typischen "Rockstar-Image" so wenig am Hut hat wie SKYCLAD.
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