Dienstag, 7. Oktober 1997, Bochum (Zeche)
Das Ruhrgebiet inklusive seiner näheren Umgebung hat ja, mal abgesehen von der Tatsache, daß man sowieso immer eine längere Strecke mit dem Auto fahren muß, wenn man von Bonn aus dort auf ein Konzert will, vor allem einen gravierenden Nachteil: Etliche Magazine und Plattenfirmen sind in dieser Gegend ansässig, so daß es am Ende heißt: Den Letzten beißen die Hunde. In diesem konkreten Fall rief ich fünf Tage vor dem Konzert bei Century Media an, um auf die Gästeliste zu kommen, nur um zu hören, daß diese bereits voll sei und ich mich beim nächsten Mal eben zwei Wochen vorher melden soll.
Naja, sei's drum. Ich hatte dann nochmal kurz gezögert, ob ich überhaupt zu diesem Konzert fahren soll, habe dann aber den Eintritt von 30 Märkern in Kauf genommen. Zwar hätte ich wohl auch ohne Fotopaß problemlos eine Kamera mit in die Zeche nehmen können, aber da es keine Absperrung gibt, sind die Bedingungen für Fotografen eh alles andere als optimal, und so entschied ich mich dann dafür, keine Fotos zu machen und stattdessen lieber das Konzert in vollen Zügen zu genießen. Diese Entscheidung habe ich nicht bereut.
Aber zuerst mal zu PARADISE NOW. Die Band spielte leider schon, als wir gegen 19.15 Uhr an der recht vollen Halle ankamen. Die Zeche hat den Vorteil, daß man an der hinteren Theke bequem ein Bierchen schlürfen und dank der etwas erhöhten Position dabei dennoch gut auf die Bühne sehen kann. Gesagt, getan. PARADISE NOW spielten eine recht obskure Mischung aus Alternative und Dark Metal. Die besseren Songs der Jungs klangen wie eine Mischung aus DANZIG und TYPE O NEGATIVE, also durchaus hörenswert, die schlechteren Songs haben mich andererseits nur gelangweilt. Alles in allem hätte man schlechtere Opener haben können, und ich glaube, daß es der Mehrheit gefallen hat, da mehr als nur Achtungsapplaus zu vernehmen war.
Nach einer kurzen Umbaupause war es dann Zeit für THE GATHERING. Zunächst mal mußte ich mich jetzt fragen, wieso man dieses Package nicht in eine größere Halle schickt. Da der TIAMAT-Schlagzeuger (offensichtlich) etwas anderes Equipment benötigt als der von THE GATHERING, und auch zugunsten von mehr Platz für die Vorbands (genauso offensichtlich) nicht bereit war, die entsprechenden Toms in der zweiten Umbaupause aufzubauen, war es bei THE GATHERING recht eng auf der Bühne. Das Schlagzeug stand dabei am linken Rand hinter dem Keyboard. Aber egal, damit kann man leben, zumindest als Fan, da vermutlich außer Sängerin Anneke der Großteil der Band eh wieder im Dunkeln stehen wird. So in etwa kam's dann auch, aber zunächst mal betrat die Band samt Sängerin die Bühne, und letztere gab ein schüchternes "Hallo" von sich, womit es schon um die Mehrheit der männlichen Zuschauer geschehen war. Los ging's mit "The Earth Is My Witness", gefolgt von "New Moon Different Day", beide vom aktuellen Longplayer. Mein Kumpel Pierre meinte bereits nach einem Song, daß sich damit der heutige Abend schon gelohnt habe, aber ganz so sicher war ich mir in diesem Moment noch nicht. Vielleicht war es auch nicht so übermäßig geschickt von der Band, mit zwei ruhigeren Songs anzufangen, aber irgendwie wollte sich die ultimative Begeisterung bei mir auch in der nächsten halben Stunde nicht einstellen. Die Soundqualität war gut, die Songauswahl auch, wobei allerdings nur Songs der Anneke-Ära gespielt wurden, darunter auch "Strange Machines" von "Mandylion", wenn auch der Schwerpunkt natürlich auf Material der aktuellen Platte lag ("Confusion", "On Most Surfaces", "Kevin's Telescope"). Aber es fehlte irgendetwas, was mich diesen Auftritt nicht in so guter Erinnerung behalten ließ wie den von dem Festival im Dezember. Das lag zum einen wohl an der mangelnden Bewegung seitens der Bandmitglieder (ausgenommen Anneke), zum anderen aber auch an der Ausstrahlung der Frontfrau selbst, die irgendwie ernster, erwachsener und auch müder wirkte. Auch sie bewegte sich weniger als man es gewohnt war. Um mich nicht mißzuverstehen: Dieser Auftritt war keineswegs schlecht, aber gemessen an den (zugegebenermaßen hohen) Erwartungen eben nicht hundertprozentig zufriedenstellend.
Die zweite Umbaupause dauerte schon etwas länger, aber da eigentlich schon alles wichtige während der Vorbands auf der Bühne stand, handelte es sich wohl mehr um eine Schminkpause, was sofort klar wurde, als TIAMAT nach dem Intro ("Neo Aeon" von "The Astral Sleep"!) die Bühne betraten. Diesmal zwar nicht mit freien Oberkörpern wie auf dem Konzert im Rahmen der Popkomm, wenn auch die Temperaturen in der Halle dies nahegelegt hätten. Die Gesichter waren aber dennoch mit Leuchtfarbe geschminkt, und zwar bei allen Musikern anders und auch bei allen äußerst asymmetrisch und damit auch interessant. Aber ließ einem schon das Intro aus alten Tagen eine Gänsehaut entstehen, war ich bei dem sich anschließenden "Ancient Entity" von derselben Platte schwer überrascht. Brachte mich dieser Song doch tatsächlich zum Bangen. Und das bei TIAMAT, deren neue Scheibe ja nun gar nix mehr mit Metal zu tun hat. Die meisten Fans schauten jedoch etwas ungläubig aus der Wäsche; vermutlich waren doch viele da, die nur die neueren Sachen der Band kennen, und denen die schnelleren Parts in diesem Stück vermutlich nur ein Kopfschütteln (jetzt ausnahmsweise NICHT im Sinne von Headbanging) abringen. Weiter ging's mit "Whatever That Hurts", dem Opener der "Wildhoney", und hierbei schaffte es die Band aufgrund der etwas anderen Instrumentierung (das Gitarrenspiel von Johan), eine Version hinzuzaubern, die deutlich härter war als die auf CD. Nach diesen zwei Songs war für mich der Abend schon gerettet, und nach dem folgenden "The Sleeping Beauty" (allerdings erneut in einer modernisierten Version) konnten die Jungs eigentlich schon keinen Fehler mehr machen. Der Rest des Abends bestand aus "Wildhoney" und "A Deeper Kind Of Slumber"-Material (u.a. "The Ar", "25th Floor", "Gaia", "Cold Seed", "Visionaire" und "The Whores Of Babylon"), das aber mit einer solchen Intensität rübergebracht wurde, daß eine einmalige und erlebenswerte Atmosphäre entstand. Dabei war die Band bei weitem nicht so reserviert wie bei den bisherigen Konzerten, die ich erlebt hatte. Sie verließen sich weniger auf die Diaprojektionen im Hintergrund der Bühne, sondern mehr auf die vermittelte Stimmung. Auch dank des guten Sounds nahmen die aufgebauten Klangwelten die Fans nahezu gefangen, man verlor sich irgendwo inmitten der Musik und konnte das Konzert wirklich voll und ganz genießen. Ferner standen die Musiker auch nicht so still auf der Bühne wie gewohnt, sondern es war durchaus einiges an Bewegung vorhanden. Während eines improvisierten Parts spielte Johan seine Gitarre mit einer Bierflasche, zwischendurch gab es eine Feuerspuckereinlage von ihm, die deutlich besser paßte als die von HAMMERFALL auf dem Cologne Metal Meeting, und immer wieder trat er an den Bühnenrand, um den Fans die Hände zu schütteln. Zwischendurch stahl der Band allerdings ein Mädel die Show, die aufgrund ihrer Körpergröße von etwa 1,50 Meter auf den Schultern eines Freundes Platz nehmen durfte. Das ist an sich noch nichts Besonderes, wohl aber die enge kurze Hose und das dafür umso luftigere Top besagter Dame, die zwischenzeitlich sämtliche Blicke in der vorderen Hallenhälfte auf sich zog. Und ich hatte keinen Fotoapparat dabei... :-(
Der Zugabenteil bestand dann leider nur noch aus neuem Material: "Four Leary Biscuits", "Only In My Tears It Lasts", "The Desolate One" und "Phantasma", was aber den insgesamt sehr guten Eindruck nicht mehr trüben konnte. Okay, sie hätten jetzt natürlich noch "Sumerian Cry" spielen können... Nach insgesamt knapp 100 Minuten verabschiedete sich die Band bei den Fans, nicht ohne sich mehrmals zu bedanken und den ersten Reihen wieder die Hände zu schütteln. Fazit: Ein beeindruckendes Auftritt, der zwar gegen einen geringeren Erwartungsanspruch ankämpfen mußte als der von THE GATHERING, der mir aber dennoch sehr positiv in Erinnerung bleiben wird. Endlich kann ich mein vor zwei Jahren gekauftes TIAMAT-Shirt wieder mit Würde tragen...
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