"Dark Winter Night"-Festival

mit Lacrimosa, The Gathering, Sentenced, Depressive Age & Dreams of Sanity

Donnerstag, 17. Dezember 1996, Dortmund (Ruhr-Rock-Hallen)

So Festivals mit mehreren Bands unter der Woche haben einen großen Nachteil: Wenn man nicht gerade am Ort des Geschehens wohnt, wird man es als ein einer geregelten Tätigkeit nachgehender Mensch in den seltensten Fällen schaffen, rechtzeitig in der Halle zu sein. So auch an diesem Tag. Einlaß war um sechs, Beginn offensichtlich pünktlich um sieben Uhr abends, und als wir gegen halb acht wirklich drinnen waren, hatten wir die erste Band, DREAMS OF SANITY, schon wieder verpaßt. Halb so wild, dachte ich mir, da ich die Combo eh nicht kannte. Laut Jonas "Bone" Korbstein, der das Package in Stuttgart gesehen hat, waren sie jedoch "eine der genialsten Bands, die ich in letzter Zeit gesehen/gehört habe". Naja, Pech gehabt.

DEPRESSIVE AGE Dumm war nur, daß ich noch zu einem Interview mit SENTENCED verabredet war, und dabei ging dann auch ein großer Teil des DEPRESSIVE AGE-Gigs drauf. Was ich mitbekam, hat mir aber gefallen. Das dargebotene Material entstammte zum Großteil der aktuellen Scheibe "Electric Scum": Der Titelsong war zu hören, ebenso "Cairo Crabat", "Polar Athletic Son" und sogar der "Companero Song". Alles in allem wohl ein gelungener Auftritt. Weiter so!

SENTENCED Spätestens bei SENTENCED wurde einem dann klar, wie breitgefächert das musikalische Angebot des heutigen Abends war. Wenn man dies nicht schon vorher anhand des vorhandenen Publikums mitbekommen hatte. Vom Punk über den geschminkten Gothic-Freak bis hin zum Kuttenträger war alles da. Im weiblichen Teil des Publikums waren dabei die schwarzgekleideten in der Überzahl. Diese musikalische Vielfalt mag vielleicht auch den ein oder anderen davon abgehalten haben, hierher zu kommen (nach dem Motto "Mich interessiert doch eh nur die Band XY ... blablabla ... usw."). Die Halle war mit etwa 500 Leuten nicht ganz gefüllt, wodurch man Platz hatte und überall gut sehen konnte. Nebenbei ist die Halle auch noch sehr gut aufgebaut: eine hohe Bühne und eine Tribüne im hinteren Teil ließen uns den Reinfall mit TYPE O NEGATIVE zwei Wochen vorher im Düsseldorfer Stahlwerk leicht vergessen.
Aber nun zu SENTENCED. Mit ihrer Mischung aus (neueren) Stücken, die sich wohl am ehesten mit melancholischer Heavy Metal umschreiben lassen, und älterem, Death Metal-lastigem Material waren sie eigentlich die extremste Combo des Abends. SENTENCED Manch einem vermutlich schon wieder zu extrem. Im Großen und Ganzen fand ich den Auftritt vielleicht etwas unspektakulär, man merkte den Jungs anhand ihres Verhaltens auf der Bühne ihre todesmetallische Vergangenheit (und die Tatsache, daß sie halt einfach nur Musik machen wollen) an. Erwähnenswert ist noch, daß der Sänger sehr selten seine Bierflasche aus der Hand stellte; die Combo hat es geschafft, einen regelrechten Kult um ihren exzessiven Alkoholkonsum aufzubauen, der dann natürlich auch auf der Bühne gepflegt werden will. That's Rock'n'Roll!

Nach zwanzig Minuten Umbaupause ging's weiter mit THE GATHERING. Wer diese Band schonmal live erleben durfte, weiß, daß man darüber eigentlich gar keine großen Worte mehr verlieren muß. THE GATHERING Es macht einfach Spaß, dieser Combo zuzusehen. Frontfrau Anneke wirkt auch mit ihrer mittlerweile gesammelten Erfahrung immer noch etwas schüchtern, was sie aber nur noch sympathischer macht. Ansonsten ist sie ständig in Bewegung. Aber nicht nur mit dem Kopf am Wackeln, sondern ihr ganzer Körper scheint nicht einen Moment still stehen zu können. Die Band spielte das gwohnte Programm runter, das heißt im Wesentlichen die Highlights der letzten CD. Zwischendurch gab's noch einen alten Song, und einen weiteren als Zugabe. Nach diesem Auftritt habe ich mir dann endgültig vorgenommen, mir endlich mal die erste GATHERING-CD zu holen. Als Minuspunkt gibt es vielleicht noch die Beleuchtung anzumerken: Die Sängerin steht eigentlich schon genug im Mittelpunkt dieser Band, da muß man den Rest der Musiker nicht auch noch weite Strecken des Gigs im Dunkeln stehen lassen.

LACRIMOSA Und dann kam endlich die Band, die es geschafft hat, sich innerhalb weniger Monate vom Dark Wave-Geheimtip zu einer unter (toleranten!) Metal-Fans angesagten Kapelle zu entwickeln: LACRIMOSA. Und diese Entwicklung verwundert überhaupt nicht, wenn man sich vor Augen hält, wie diese Band ihre Stücke live rüberbringt. Das hat bald nichts mehr mit Dark Wave zu tun, sondern das ist Heavy Metal! Ein Schlagzeug mit Doublebass, dazu ein Basser und zwei Gitarristen, das erzeugt schon eine ziemliche Klangwand. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, daß LACRIMOSA hier ziemlich heftige Coverversionen von sich selber gespielt haben. Das eher gemäßigte "Versuchung" mauserte sich zu einem Kracher, den auch ich erst nach gut einer Minute erkannt habe. An alten Songs gab's ansonsten "Seele in Not" und "Flamme im Wind". Die "Inferno"-CD wurde komplett gespielt, wobei der an sich härteste Track, "Copycat", gegen die Metal-Versionen der anderen Songs nicht anstinken konnte. LACRIMOSA Auch "Stolzes Herz" und "Ich bin der brennende Komet" von der letzten Maxi wurden gespielt, beide dezent mit Flammen und Feuerwerken optisch untermalt. Als Zugaben gab's einen neuen Song namens "Mein zweites Herz" von der im März erscheinenden CD, der von Tilo nur mit Tonbandbegleitung intoniert wurde und der nahtlos in "Alles Lüge" überging. Das grandiose Finale bildete ein zehnminütiges Medley aus "Vermächtnis der Sonne" und "Der Kelch des Lebens". Fazit: Es war einfach klasse! Dennoch gibt's auch bei LACRIMOSA einen Punkt Abzug, weil man die seit etwa zwei Jahren fest dazugehörende Anne Nurmi kaum (Keyboards) bis fast gar nicht (Gesang) hörte. Das konnte auch ihr überaus reizvolles Outfit (fast nur Leder und davon sehr wenig) nicht wettmachen.

Restless

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