Therion

Offen für Neues

(Interview mit Christofer Johnsson, August 1996)

"Theli", das mittlerweile fünfte Machwerk der Schweden von THERION, hat mit dem Death Metal der Anfangstage etwa so viel zu tun wie Ozzys ungewaschene Socken mit Mutter's Erdbeerkuchen. Dennoch empfinde ich die Entwicklung nicht so dramatisch wie andere Schreiberlinge. Die erste Frage an Bandleader Christofer Johnsson liegt daher quasi auf der Hand:

Meiner Meinung nach halten sich die Unterschiede zum letzten Album in Grenzen, oder?

Da gibt es schon eine Menge Unterschiede. Eigentlich wurde die Hauptsache fallengelassen, nämlich mein eigener Gesang. Auf "Theli" bin ich nur noch ein zusätzlicher Sänger an wenigen Stellen. Dafür gibt es mehr orchestrale Parts auf der Platte. Früher waren die Gitarren sehr dominant, jetzt sind sie bald nur noch Füllwerk, um das Ganze heavier zu machen. Die Leads gehen nicht mehr von den Gitarren aus. Und für mich persönlich ist der größte Unterschied, daß das Album nicht zu einer bestimmten Zeit geschrieben wurde, sondern aus Songs besteht, die zwischen 93 und jetzt entstanden. Das sind Songs, von denen ich ursprünglich gar nicht erwartete, sie jemals aufzunehmen, geschweige denn, sie zu veröffentlichen. Songs, die ich einfach so und nicht speziell für THERION geschrieben hatte. Es sind auch Stücke enthalten auf dieser Platte von einem Projekt namens THELI, das ich mal hatte, und danach ist auch der Albumtitel gewählt. Ich nahm die Songs und habe die Arrangements ein wenig verändert; sie sind nun symphonischer als vorher. Dieses Album kommt insgesamt mehr aus der Seele als die vorherigen. Es klingt auch noch nach THERION; aber ich habe nicht darüber nachgedacht, wie wir früher klangen und was die Fans von diesem Album halten werden, oder wie wir in Zukunft klingen werden; ich wollte halt einfach nur dieses spezielle Album kreieren. Wie gesagt, habe ich lange nicht damit gerechnet, jemals diese Songs veröffentlichen zu können. Die Aufnahmen haben dann auch eine ganze Menge Geld gekostet, und ich bin sehr froh, dieses Geld von Nuclear Blast bekommen zu haben.

Was verspricht sich das Label denn von dieser Platte? Der Schwerpunkt von Nuclear Blast liegt ja mehr im Death Metal-Bereich.

Diese Firma ist halt offen für Neues. Und mit dem Death Metal ist es ja nun wie vor ein paar Jahren mit dem Thrash und in den Achtzigern mit dem Heavy Metal: Er hat seine besten Tage schon hinter sich, und alles war irgendwie schonmal da. Deswegen wollen die Bands lieber was neues ausprobieren, und bei den Labels ist es im Prinzip dasselbe. Nuclear Blast können nicht immer weiter nur Death Metal veröffentlichen, dafür gibt es einfach zu wenig wirklich gute Bands in diesem Bereich. Weißt du, es gibt zum Beispiel Bands wie UNLEASHED oder AC/DC, bei denen du weißt, was das neue Album bringt, ohne es zu hören. Mit THERION ist es das genaue Gegenteil: Plötzlich kommt von uns ein Album, das von einer ganz anderen Band sein könnte. Nach dem dritten Album, "Symphony Masses ..." fragten uns die Leute, warum wir nicht unseren Namen ändern würden, das sei ja nicht mehr THERION, und nach "Lepaca Kliffoth" war es dasselbe. Du weißt im Prinzip nie, was dich auf der nächsten Platte erwartet.

Unter Death Metal-Bands ist es mittlerweile ja geradezu üblich, den eigenen Stil in einer Art und Weise zu verändern, wie ihr es getan habt, sprich: in eine mehr symphonische oder auch Gothic-Richtung. Beispiele hierfür sind nicht zuletzt auch erfolgreiche Acts wie PARADISE LOST oder TIAMAT.

Ich denke, THERION waren eine der ersten Bands, die diesen Weg beschritten haben. Den Anfang machen immer einige Pioniere, wie PARADISE LOST oder wir in diesem Fall, und jüngere Bands werden dann natürlich von dem beeinflußt, was sie hören. Wenn sie von etwas Neuem fasziniert sind, werden sie auch versuchen, etwas in dieser Richtung zu fabrizieren.

Und was beeinflußt dich?

Vieles aus den Siebzigern, viel symphonischer Hard Rock. Etwa alte SCORPIONS oder KANSAS. Das sind so zwei Bands, die in den Siebzigern genial waren und danach nur noch Mist produzierten.

Auf "Theli" ist neben sehr vielen Chören und Gastsängern auch Dan Swanö zu hören. Wie kam es dazu?

Dan ist ein alter Freund von mir. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob er ein paar Textzeilen singen will. Als ich das Album schrieb, wurde mir klar, daß 75 Prozent Chöre sind. Und die restlichen 25 Prozent konnte ich nicht alleine einsingen, da meine Stimme zu oft einfach nicht gepaßt hätte. Für einige Passagen war es okay, andere, sehr harmonische Stellen hat unser Drummer eingesungen, und ein paar blieben übrig. Und hierfür fiel uns Dan ein. Er ist ein sehr variabler Sänger, der alles von SISTERS OF MERCY bis KING DIAMOND singen könnte; dementsprechend einfach ist es, mit ihm zu arbeiten. Als wir im Studio waren, haben wir noch zwei weitere Songs mit ihm aufgenommen: Das eine ist mehr so TYPE O NEGATIVE-mäßiger Metal-Pop, und wird im Winter auf einer Single veröffentlicht. Das andere ist ein Heavy Metal-Track, der auch nicht zur Musik des Albums paßte. Und wir haben noch ein Stück von den SCORPIONS gecovert, "Fly To The Rainbow" von 1974. Wie gesagt, sie waren eine der besten Hard Rock-Bands der Welt in den Siebzigern, mit vier sehr guten Alben.

Und wie kam es zur Zusammenarbeit mit den Chören?

Wir hatten zwei sehr professionelle Produzenten. Ich sagte ihnen, was ich für diese Scheibe bräuchte, wie zum Beispiel Chöre oder dieses und jenes technische Equipment, und sie kümmerten sich um alles. Einer von beiden war ein Rock-Produzent, der sich dann auch um den Mix gekümmert hat und der sehr gut Klavier spielen konnte, und der andere war eher ein Theoretiker, der über Computer, Noten, Harmonien und so weiter Bescheid wußte und auch klassische Musikinstrumente spielen konnte. Und der hat das dann mit dem Orchester und dem Chor geregelt. Was sehr gut war, weil es sich bei dem Chor auch um ältere Leute handelte, die kaum Englisch sprechen konnten. Ich denke, in einem anderen Studio mit anderen Produzenten wären die Aufnahmen zu einem Desaster geworden.

Und wie seid ihr an dieses Studio gekommen?

Nuclear Blast haben es uns empfohlen und uns gesagt, es sei optimal für diese Art von Album. Und wir sind auch sehr glücklich mit dem Gesamtsound. Klar, nichts ist perfekt, du kannst immer noch was verbessern. Aber für die Zeit, die wir im Studio verbracht haben, ist das Ergebnis optimal und wir sind zufrieden damit.

Daß "Theli" der Name eines anderen Projektes von dir war, haben wir schon erfahren. Aber worüber handelt das Album?

Das textliche Konzept ist dasselbe wie auf den letzten beiden Alben, aber ein wenig verbessert. Es geht um magische Visionen, um die Erfahrungen mit Astralprojektionen, um Träume und so Dinge. Also Sachen, die in der Dragon Rouge Loge gelehrt und praktiziert werden. Dies ist zum einen eine Organisation, in der jeder Mitglied werden kann. Sie zählt etwa 400 Mitglieder, die ein spezielles Magazin erhalten, Vorträgen über okkulte Themen beiwohnen können und so etwas. Zum anderen ist sie jedoch ein Inner Circle, also eine Art geheime, magische Gesellschaft, und das ist die Hauptsache. Die Organisation ist eher eine Art Werkzeug, um an die Massen heranzutreten. Aber es ist definitiv keine Sekte. Diese Gesellschaft ist weder religiös noch satanisch. Lediglich die Beschäftigung mit dem Magischen ist der Inhalt, und magisch ist alles von Parapsychologie bis Metaphysik. Ich möchte jetzt allerdings nicht zu tief in diese Materie einsteigen, das macht nämlich keinen Sinn, wenn man sich nicht mit dem Konzept von Astralprojektionen auskennt.

Also belassen wir's dabei.

Restless

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